„Die noch lebten, erschoß Dragan“

■ Berichte des Grauens über serbische ethnische Säuberungen

Frankfurt (taz) — Mit seinem auf der Flucht geborenen Sohn und seiner Frau ist der aus dem bosnischen Prijedor stammende Moslem Ilir [Namen von der Redaktion geändert] nach Frankfurt gekommen. Zu einem Internationalen Hearing zu Massenvertreibung und „ethnischen Säuberungen“ im ehemaligen Jugoslawien hatte die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) am 20./21.September geladen. In der Einladung rief sie zur „Einrichtung eines Internationalen Gerichtshofs“ auf.

Gekommen waren 35 Augenzeugen sowie Vertreter von Menschenrechts- und Nationalitätenvereinigungen aus Kroatien, Bosnien-Herzegowina, der Vojvodina, dem Sandschak und Kosovo. Sie wurden unter anderem von den drei Völkerrechtlern Alfred de Zayas, Roman Wieroszewski und Eibe Riedel, dem Kirchenhistoriker Rudolf Grulich und dem jüdischen Arzt Milan Stern aus Sarajevo angehört.

Ilir berichtet: In einer Kolonne von 3.000 Menschen, organisiert vom Befehlshaber des KZs von Trnopolje, Major Kuruzovic, gelangte er nach der Einkesselung Prijedors über Kozarac und Banja Luka nach Vlasik. Alle drei bis fünf Kilometer wurde die Kolonne gestoppt, die serbischen Milizen suchten nach Geld, Gold, Uhren und allem Wertvollen. Sie nahmen Menschen aus der Kolonne heraus, hielten ihnen das Messer unter die Kehle. Ilir sah, wie zwei jungen Männern die Kehle durchschnitten wurden. Als die Tschetniks sahen, daß die Moslems nichts mehr besaßen, sonderten sie 250 Moslems von 18 bis 35 Jahren ab. „Der ,Vojvoda‘ Dragan hatte einen Baseballschläger. Er ließ die Menschen in zwei Reihen aufstellen und schlug ihnen den Baseballschläger mit aller Wucht auf den Kopf. Diejenigen, welche noch Lebenszeichen von sich gaben, erschoß er mit einem amerikanischen Thompson- Gewehr. Die restlichen von den 250 haben sie fortgeführt; später hörte ich, daß auch sie umgebracht wurden.“ Eine spezielle Einheit aus Prijedor mit roten Baretten sei für solche Greueltaten eingesetzt gewesen.

An der Grenze zur sogenannten „Serbischen Republik Bosnien- Herzegowina“ wurden Ilir und seine Frau von anderen Tschetnik- Einheiten über Minenfelder geschickt. Zehn Kilometer trug Ilir seine schwangere Frau, bis sie in das von Bosniern kontrollierte Gebiet kamen. Gleich am ersten Abend gebar sie ohne ärztliche Hilfe ihren Sohn, den sie bei der Anhörung auf den Armen trug.

Von speziellen Einheiten zum Plündern, zum Anzünden von Häusern und zum Morden, diesmal des Serbenführers Milan Martic in der kroatischen Krajina, berichtet der kroatische Landwirt Mladen aus Ervenik Gornji in der Gemeinde Knin. Sein ältester Sohn flüchtete bereits im Juli letzten Jahres mit seiner Familie, nachdem sein Auto gesprengt worden war. Im vergangenen Januar wurde Ervenik Gornji dann von allen Kroaten „gesäubert“. Die serbischen Mordbanden zündeten Mladens Haus an, seinen jüngsten Sohn und seinen achtjährigen Enkel warfen sie in das brennende Haus, seine Schwiegertochter und der andere, erst dreijährige Enkel wurden tot auf dem Hof gefunden: mit Schüssen im Kopf. Noch vor dem Fall Vukovars war Serbenführer Martic Gesprächspartner von Lord Carrington.

Völkerrechtler und Sachverständige qualifizierten die Politik „ethnischer Säuberungen“ als ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Johannes Vollmer