„Das Verfahren gegen Collor reinigt die Seele des brasilianischen Volkes“

■ Interview mit Luis Inacio Lula da Silva, Chef der Arbeiter- partei PT, der die Niederlage seines Gegners richtig auskostet

Eigentlich würde er lieber ein Bier trinken und auf der Straße mit dem Volk auf den Sieg der Demokratie anstoßen. Doch unmittelbar nachdem das brasilianische Parlament mit großer Mehrheit die Einleitung des Verfahrens zur Amtsenthebung von Präsident Fernando Collor beschlossen hatte, saß Luis Inacio Lula da Silva auf der Zuschauertribüne und weinte. Umringt von unzähligen Fernsehkameras ließ der Vorsitzende der brasilianischen Arbeiterpartei PT seinen Freudentränen freien Lauf. „Die Mauer ist gefallen. Die Ära der Korruption in Brasilien ist vorbei“, erklärte Lula gegenüber der taz euphorisch. Lula, der im November 1989 bei den ersten freien Präsidentschaftswahlen nach der 25jährigen Militärdiktatur knapp gegen Collor verlor, war am Dienstag abend der wichtigste Mann im Kongreß.

taz: Ist die Mauer jetzt auch in Brasilien gefallen?

Lula: Ja. Die Mauer der Korruption ist eingestürzt. Es ist wunderbar. Die Abstimmung im Abgeordnetenhaus verlief demokratisch, ohne Zwischenfälle. Das Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident Collor reinigt die Seele des brasilianischen Volkes. Die Ära der Korruption in Brasilien ist vorbei.

Wie sieht die Zukunft Brasiliens aus?

Die Arbeit fängt jetzt erst an. Wir haben bis jetzt nicht ein einziges unserer unzähligen nationalen Probleme gelöst, sondern lediglich einem korrupten Präsidenten die Macht entzogen. Doch niemand kann die demokratische Bewegung in unserem Land mehr aufhalten. Die Arbeiterpartei wird die Gemeindewahlen in den wichtigsten brasilianischen Städten wie Porto Alegre, Sao Paulo, Rio und Belo Horizonte gewinnen. Und dann werden wir der Öffentlichkeit beweisen, daß es möglich ist, Städte kompetent und volksnah zu verwalten.

Wird die Arbeiterpartei unter Vizepräsident Itamar Franco Regierungsverantwortung übernehmen und einen Ministerposten besetzen?

Nein. Die PT wird sich nicht an der Regierung von Itamar Franco beteiligen. Wir werden jedoch sein Programm im Kongreß unterstützen. Wir müssen unbedingt eine Steuerreform verabschieden und die wirtschaftliche Rezession stoppen. Itamar Franco hat die große Chance, sich Glaubwürdigkeit zu verschaffen, wenn er jetzt im Kongreß mit den richtigen Vorschlägen aufwartet.

Was wird passieren, wenn Präsident Collor de Mello nicht zurücktritt?

Collor braucht gar nicht erst von seinem Posten zurückzutreten. Er wird im Senat abgeurteilt und spätestens in sechs Monaten zwangsweise seines Amtes enthoben. Ganz wichtig ist, daß das formale Procedere eingehalten wird, alles andere wird sich in der Folge von alleine regeln. Collor ist wie eine faule Frucht, die jeder Zeit vom Ast fallen kann.