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■ StandbildNaturell eines Ochsen

Das Kanzlerjubiläum am Mittwoch bei Sat.1 und ZDF

Das deutsche Fernsehen feiert seinen besten Freund. Unübersehbar lugt er tagtäglich aus der Bildröhre, immer etwas besorgt und doch zuversichtlich. Sein Name ist leicht zu merken, das Gesicht unscheinbar, der Beruf füllt ihn aus. Unser Kanzler ist ein glücklicher Mann. Das bringt er ohne falsche Bescheidenheit rüber, und wir freuen uns mit ihm.

„Man findet seinen Stil, und man bleibt dabei“; diese kluge Feststellung einer Bardame hätte den Jubiläumssendungen als Motto voranstehen können. Zehn Jahre deutscher Kanzler bei gleichbleibender Qualität, das verlangt Respekt. Allen plumpen Anfeindungen zum Trotz, Intrigen und Sticheleien aus den eigenen Reihen ausgesetzt, ist er dennoch immer frisch bei der Arbeit und auf dem Bildschirm. Er könnte ewig so weitermachen.

Ein rückhaltloses Porträt bot uns Udo Philipp auf Sat.1 an. Kohl beim Kaffeetrinken, in Zeitlupe. Ein Mensch wie du und ich. Ein Diplompsychologe attestiert ihm „Persönlichkeit“, weckt Verständnis für das notorische Ordnen seines Schlipses und für das unkontrollierte Spiel seiner Zunge. Seine Freunde werden vorgestellt: Mitterrand, Reagan, Bush, Gorbatschow; in einem lockeren Gespräch lehnt sich der „Kanzler der Einheit“ bequem zurück. Tag für Tag ein Pensum von siebzehn Stunden Kanzlerschaft, da müsse man schon das „Naturell eines Ochsen“ haben. An Rücktritt denkt er naturgemäß noch lange nicht; und wenn es denn sein muß, sähe er am liebsten als seinen Erben ein Unikum namens Volker Rühe.

Den Blick von draußen versuchte der französische Journalist Michel Meyer im ZDF. Vom politischen Klima zu Beginn seiner Kanzlerschaft, „Lichtjahre von unserer Zeit entfernt“, zu den Problemen nach den Erschütterungen in Deutschland und Osteuropa; Kohl war dabei. In der raschen Konstruktion der deutschen Einheit zeigte er seine Größe. Ihre Folgen wird er nicht mehr bestimmen können, vermutet Günter Gaus, einer unserer seltenen intelligenten Politik-Beobachter. Die anderen Gesprächspartner, Bush und Gorbatschow, Walesa und Howe, Mitterrand und Genscher, stellten ihm ein freundliches, aber vorsichtiges Zeugnis aus. Wohl ein Staatsmann, aber auch ein Populist, der die deutschen Gefühle artikuliere. Schön, wenn sie europäisch blieben.

Hier ein Idol im Bravo-Poster-Stil, dort ein Politiker mit glücklicher Hand: Das Fernsehen liebt beide Gesichter des Helmut Kohl. Er grinst unsicher, streicht sich geschmeichelt den Schlips zurecht. Er ist Kanzler von Deutschland und jeden Tag im Fernsehen. Ist das nichts? Olga O'Groschen

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