Großbritannien: Gewinner und Verlierer

■ Wer profitiert vom Kursverlust des Pfundes?

Des einen Freud, des anderen Leid — beim Sturz des britischen Pfundes gibt es Gewinner und Verlierer. Die Demütigung, die viele BritInnen empfinden, nachdem ihre Währung in die zweite europäische Klasse zurückgestuft worden ist, wird zumindest bei den HausbesitzerInnen durch die Zinssenkung wieder wettgemacht. Zum ersten Mal seit vier Jahren ist der Hypothekenzins unter zehn Prozent gefallen, mit einer weiteren Senkung ist schon in den nächsten Wochen zu rechnen. Für Hunderttausende kommt das freilich zu spät: Sie hatten der thatcheristischen Ideologie vertraut und sich im Glauben an stetiges Wirtschaftswachstum finanziell übernommen. Während die durchschnittlichen Schulden pro Person vor zehn Jahren etwa 55 Prozent des Jahreseinkommens betrugen, liegen sie heute bei 115 Prozent. Mit Beginn der Rezession und explodierenden Arbeitslosenzahlen sanken die Hauspreise jedoch. Viele Häuser kamen unter den Hammer oder mußten mit Verlust verkauft werden.

Bausparkassen und Banken erwarten, daß die meisten KleinschuldnerInnen das durch niedrige Zinsen gesparte Geld dazu benutzen werden, größere Pauschalbeträge zurückzuzahlen, um die monatlichen Raten auf ein erschwingliches Maß zu reduzieren. Sollten sie recht behalten, würde die Ankurbelung der Wirtschaft, die man sich von der Zinssenkung erhofft, erheblich verzögert.

Zu den Gewinnern der Pfund- Krise gehört überraschend auch Finanzminister Norman Lamont, der in der vergangenen Woche wie Phönix aus der Asche auferstanden ist. Er hat nicht nur seine Abkehr vom heiligen Prinzip der Verteidigung des Pfundes vergessen gemacht, sondern sich obendrein zum Sprecher der genau entgegengesetzten Politik aufgeschwungen. Hatte Premierminister John Major seinen Schatzkanzler nach der Pfund-Abwertung noch verteidigt, so sind die Rollen jetzt vertauscht.

Major ist der größte Verlierer des Ausstiegs aus dem Wechselkurssystem. Der rechte Parteiflügel sieht seine Chance gekommen, ihn langfristig auf einen thatcheristischen Kurs festzulegen. Von den Hinterbänken sind bereits Stimmen zu vernehmen, die über einen Führungswechsel rechtzeitig vor den nächsten Wahlen nachdenken.

Selten hat ein Premierminister in so kurzer Zeit so viel Kredit bei der Bevölkerung verspielt. Mit ihrer maroden Währung kommen die BritInnen nicht mehr weit — im wahrsten Sinne des Wortes: Auslandsreisen können sich viele jetzt abschminken. Umgekehrt ist für ausländische Besucher ein Angelurlaub in Schottland oder ein Wochenendtrip in die englische Hauptstadt attraktiver geworden. Nicht nur die Tourismusbranche, sondern die gesamte Wirtschaft — vor allem die exportorientierte — erhofft sich einen stimulierenden Effekt. Dieser Effekt wird durch die Inflation jedoch wieder zunichte gemacht, glauben viele Wirtschaftsexperten. Am pessimistischsten ist Nigel Pain vom National Institute of Economic and Social Research: Er geht davon aus, daß die Inflation sofort durchschlägt, ohne daß die Produktion gesteigert wird. Die Inflationsrate wird im nächsten Jahr bereits 6,85 Prozent betragen, prophezeit Pain. Andere sehen die Lage rosiger. Da Importe nur 25 Prozent der gesamten Warenkosten ausmachen, werde die Inflation lediglich um 2,5 Prozent steigen, glaubt Wynne Godley von der Uni Cambridge. Ralf Sotscheck