Die Kluft zur Außenwelt

■ Claudia Scholl zeigte "Die Grenzgängerin" nach Tagebüchern Etty Hillesums im Monsun

nach Tagebüchern Etty Hillesums im Monsun

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2å Als das Publikum das Theater betritt, sitzt eine blonde Frau an einem Tischchen am Bühnenrand und schreibt im Schein einer Kerze in ihr Tagebuch. Die Bremer Schauspielerin Claudia Scholl beginnt aus den Aufzeichnungen Etty Hillesums zu lesen. Die holländische Jüdin Etty Hillesum überlebte nur von 1941 bis 1943 das Vernichtungslager Auschwitz. Bis zu ihrer Hinrichtung 1943 führte sie über den Abgrund Tagebuch.

Claudia Scholl schlüpft mit Mantel und Schutzhelm in die Gestalt der Sarah Bentsch, der fiktiven Gestalt, die sie Etty gegenüberstellt. Im Gegensatz zu Etty, die hinter Mauern und Stacheldraht im KZ gefangen ist, ist Sarah die Gefangene ihrer selbst. Sie spricht zu Etty, der trotz größter äußerer Bedrängung und Grausamkeit stets Friedfertigen, Menschenliebenden. Schon als Kind mit diesen Tagebüchern konfrontiert, will Sarah ihren Kampf, mit dem der 68er-Aufbruch gemeint ist, erklären, als könne sie noch Ettys Einverständnis für ihren Haß erlangen. Sarah führt sich immer wieder ihr eigenes Scheitern als Dichterin vor Augen und trifft in Erinnerungen stets auf unverständige Lektoren wie auf eine Kluft zur Außenwelt.

Claudia Scholl bringt in ihrem Stück ein gelungenes Doppelportrait zweier Frauen auf die Bühne. Sie zeigt den Kampf einer ruhelosen Frau zwischen der eigenen Vergangenheit und dem Nachlaß einer Überfigur. Ihr mit zahlreichen Zitaten gespickter Monolog bedient sich einer literarischen Sprache, die während der einstündigen Aufführung keineswegs ermüdet, sich aber manchmal nicht sogleich erschließt.

Die Inszenierung, bei der Bodo Bühling assistierte, und die brilliante Darstellungskunst der Claudia Scholl machten den Abend zum lohnenden Erlebnis. Es gelang ihr zwischen den Rollen der Sarah und ihren extrem schwankenden Gefühlslagen, zwischen Etty und den Lektoren so zu differenzieren, daß die Lebenssituationen greifbar werden konnten. Was fehlte, war nur ein größeres Publikum. Niels Grevsen