Rekrutenreport

■ „Fleischwolf“ von Werner Fritsch, uraufgeführt im Schauspiel Bonn

Früher einmal, lang schon ist es her, reichte einmal auf der Bühne „ficken“ sagen schon für den Skandal. Später dann mußte man es schon nicht bloß sagen, sondern tun, sonst gab es kein Geschrei. Und heute? So viel ist sicher: Drei Stunden lang vom „Ficken“ reden reicht jedenfalls noch nicht. Ein langer Abend voll von verbalem Sexualgeprotze reicht nur für müden Anstandsbeifall. „Fleischwolf“ ist kein Skandal, sondern nur ein Mißerfolg.

„Fleischwolf“ ist eigentlich ein dröges Stück Dokumentarliteratur: ein Sozialreport aus einer der Dreckecken der Nation, aus dem Militärmilieu. Fritsch ist, so behauptet er, als Zwanzigjähriger, obwohl Pazifist, zur Bundeswehr gegangen, um über sie zu schreiben. Seit 1980 hat er dann an seinem Entlarvungswerk gefeilt. Das Resultat der ethnologischen Feldarbeit beim Stamm der Waffenhüter ist eine monströse Spruchsammlung. Handlung und Charaktere gibt es nur dem Scheine nach. In einer Nachtbar neben einem Truppenübungsplatz in der Oberpfalz hängen ein Zuhälter, zwei Huren und etliche Soldaten herum. Selbstmord und Geiselnahme stellen sich als Abschiedsscherz eines Rekruten heraus, nur der aus der Irrenanstalt ausgebrochene Major ist echt. Rituelle Beschimpfungen drehen sich im Kreise.

Wie alle Forscher hat Fritsch einen Vollständigkeitswahn. Alle Zoten, die er erhaschen konnte, und auch die, die er noch hinzuerfand, holt er nun aus der Botanisiertrommel hervor und reiht sie nebeneinander vor uns auf. „Beschwörung des Schrecklichen“, meint er, sei das, was er da tue. „Fleischwolf“ ist nicht schrecklich wie ein Traum, sondern ermüdend wie eine Statistik. Sein Autor muß wohl der Meinung sein, Häufung führe zu Sensibilisierung und Erkenntnis. Dabei beweist er doch nur noch einmal: Häufung führt zur Abstumpfung.

Eigentlich weiß Fritsch natürlich, daß die Ära der Dokumentarliteratur vorbei ist, weil kein moralischer Appell mehr möglich ist. In seinem preisgekrönten Prosatext „Steinbruch“ verarbeitet er dieselbe Bundeswehrerfahrung in einer hochartifiziellen, syntaktisch exzessiv komplexen Sprache. In „Fleischwolf“ fehlt dieser Kontrast zwischen Sujet und Stil. Zwar versucht er auch dort den rüden Jargon so zu schärfen, daß im verhunzten Fickdeutsch noch schreckhafte Erkenntnis möglich wird. Doch das magere Ergebnis dieser Kunstbemühung sind ein paar Sätze wie: „Der Deutsche ist dem Deutschen ein Adolf.“

An gutgemeinten Versuchen, Gegenelemente in die brutale Männerwelt hineinzuschmuggeln, fehlt es nicht: Die Amüsierdame rezitiert mal Rosenlyrik, ein Gefreiter bekennt seinen Selbstmordversuch, die Prostituierte wäre gerne wieder Krankenschwester, die zur Asylantenhure ausersehene Iranerin berichtet stolz auf persisch von ihren Erfolgen als Shakespeare-Schauspielerin in Teheran. Die übergründliche Recherche bestätigt am Ende nur peinliche Klischees. Daß die Bundeswehr ein Sammelbecken faschistoider Machos ist: Wer das vorher nicht empörend fand, den stört es auch nach „Fleischwolf“ nicht.

Streichen wäre bei diesem Stück die wichtigste Aufgabe einer Inszenierung. Davon macht die Bonner Uraufführung jedoch leider kaum Gebrauch. Mit ein paar hilflosen Einfällen versucht sie dem Vorwurf des platten Realismus zu entgehen (Heavy-Metal-Gedröhne zerhackt die Szene, Türen öffnen sich von Geisterhand zu Sitarklängen, der verrückte Major erscheint mit Donnergetöse wie ein Unterweltgott). Getreu dem Text verfällt auch sie nach kurzer Kunstanstrengung dem Sog des verbalen Fäkaliensumpfes.

Als schließlich ein Blackout das Ende der Premiere verkündete, hörte man als erste Reaktion des Publikums noch vor dem Applaus einen im Theater seltenen Laut: ein leises Stöhnen der Erleichterung. Gerhard Preußer

Werner Fritsch: „Fleischwolf“. Schauspiel Bonn (Alter Malersaal Beuel). Inszenierung: Jaroslav Chundela. Bühne: Maren Christensen. Mit: Wolfgang Hepp, Carola Regnier, David C. Bunners. Weitere Vorstellungen: 3., 4., 5., 6., 7., 11., 13., 14., 17., 21., 23., 27., 29. Oktober.