■ Kommentar
: Für Arme verboten

Es ist der 13. August des Jahres 1999. Zehntausende von Menschen stehen östlich der Oder und sehen verzweifelt zu, wie Bundeswehrsoldaten auf dem westlichen Ufer eine Betonmauer errichten und Stacheldraht darüber spannen. Auch Österreich hat die Grenzen zugemacht, damit der Flüchtlingsstrom aus Ungarn sich nicht ins Land wälzt und nach Deutschland weiterfließt. Der Betonvorhang wird in einer Regierungserklärung zwar bedauert, aber für unvermeidlich gehalten: Denn obwohl der Artikel 16 des Grundgesetzes abgeschafft, die einstigen Ostblockländer von der EG als Nichtverfolgerstaaten definiert wurden, also auch kein Recht auf Zuflucht besteht, kommen die Asylbewerber zuhauf. Sie fliehen vor religiöser und ethnischer Verfolgung, vor Bürgerkrieg, Typhus und tödlicher Armut. Sie kommen aus Dutzenden von winzigen Nationalstaaten, deren Namen die EG-Flüchtlingsbeamten sich nicht merken können.

Natürlich ist dieses Szenarium geschmacklos. Aber die Berliner CDU-Fraktion hat in ihrem Grundsatzpapier zur Asylpolitik zumindest erlaubt, in diese Richtung zu assoziieren. Sie will nicht nur das Grundgesetz ändern, die Verfassung ergänzen, sondern auch die deutschen Außengrenzen gegen illegale Einwanderung besser schützen und die Visabestimmungen für Bürger aus den ost- und südosteuropäischen Ländern verschärfen beziehungsweise überhaupt erst einführen. Denn der Osten, sagt ihr ausländerpolitische Sprecher Gewalt, »fängt an der Oder an«. Damit ist die Berliner CDU-Fraktion auf dem schlechtesten Wege mitzuhelfen, daß der unter Jubel gefallene Eiserne Vorhang durch eine Wohlstandsmauer ersetzt wird. Touristen aus den gerade visafrei gewordenen Ländern wie Polen, Mähren, Böhmen, erst recht die aus den visapflichtigen Staaten wie Litauen, Lettland, Rußland und so weiter sollen durch Öffnung des Portemonnaies nachweisen, daß sie ihren Aufenthalt in Deutschland finanzieren können. Eintritt für Arme verboten, wird es dann an den Grenzen heißen, und wer arm ist, bestimmt die Bundesrepublik. Rucksacktouristen raus, Schieber ins Hilton, heißt die Devise. Anita Kugler