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„Gewalt etwas Positives entgegensetzen“

In Berlin sammeln die „Mütter gegen Gewalt“ auf Brücken für die BewohnerInen der Flüchtlingsheime/ Nach dem gewaltsamen Tod des Türken Mete Eksi fanden sich Frauen aus 16 Nationen zusammen  ■ Von Ute Scheub

„Wenn man Menschen positiv entgegentritt, sind sie selbst positiver“ - davon ist Ingeborg Michael fest überzeugt. Und darum, so glaubt die 65jährige Großmutter zweier Enkel, hat kein Mensch etwas Böses gesagt, als sie mit anderen Frauen auf der Kottbusser Brücke in Kreuzberg stand und Geld, Spielzeug, Schuhe, Fahrscheine und Topfpflanzen sammelte - für diejenigen, die vom unterbezahlten Mob und überbezahlten PolitikerInnen zu „Scheinasylanten“ gemacht wurden. „Schluß mit dem Reden! Wir wollen was tun!“, hieß es nach den Pogromen von Rostock schlicht und ergreifend auf den Flugblättern der „Internationalen Initiative Mütter gegen Gewalt“. An die 300 Mark und zwei große Kisten mit Spielzeug für ein Asylheim in Kreuzberg kamen zusammen. Doch: „Zack, weg wars“, lacht Ingeborg Michael in Erinnerung an die 80 Familien mit ihren 300 Kindern. „Aber die haben sich so gefreut.“

Am liebsten würde sie nun sämtliche anderen Initiativen und Organisationen für ihre Idee mobilisieren, stadtweit jeden Freitag auf allen Brücken zu stehen, um den Bogen praktischer Solidarität zu schlagen und Geschenke für Flüchtlinge zu sammeln. „Patenschaften für bedrohte Heime zu übernehmen, das ist doch viel zu groß für die Oma um die Ecke“, sagt sie. „Aber bei so etwas Einfachem können alle mitmachen, die noch ein Herz haben.“

Tülin Sertdemir, 47jährige Mutter eines Sohnes, pflichtet ihr bei: „Wir wollen dem Rassismus und der Gewalt etwas Positives entgegensetzen.“ Am letzten Wochenende hat sie mit anderen Frauen von den gesammelten Spenden Brot, Käse, Oliven gekauft und ist zu einem Asylheim außerhalb Berlins gefahren: „Die Leute kriegen kein Geld für Lebensmittel, sondern Vollverpflegung. Sie kämpfen dagegen, sie wollen kein Schweinefleisch essen. »Endlich sind wir nicht mehr allein«, haben sie uns gesagt.“ Tülin wiederum träumt nun davon, mit Unterstützung anderer Initiativen am Nikolaustag ein Kinderfest in allen Flüchtlingsheimen abzuhalten. „Der Heilige Nikolaus hat in der Türkei gelebt, der Tag ist eine türkische Angelegenheit“, lacht sie. „Ja, Jesus war Jude, Nikolaus Türke, und Mutter Theresa stammt aus Albanien“, kommentiert Ingeborg trocken.

Die „Mütter gegen Gewalt“ aber übertreffen diese Heiligen um Längen an Weltläufigkeit. Rund 90 Frauen aus 16 Nationen kamen zum ersten Mal vor einem Jahr unter dem Dach des Türkischen Elternvereins zusammen, nach den Pogromen von Hoyerswerda und nach dem Tod des türkischen Jugendlichen Mete Eksi, der auf dem Kudamm von einem Deutschen zusammengeprügelt wurde. „Wir wollen nicht“, formuliert Tülin ihren zentralen Slogan, „daß unsere Kinder zu Opfern oder Täter werden“. Frauen aller Berufsgruppen, Hautfarben und Religionen, darunter Mete Eksis Mutter, versammelten sich in der Folge jeden Monat am Tatort und erinnerten mit einer Mahnwache an den jungen Türken, der sich selbst so sehr für die Verständigung zwischen den Kulturen eingesetzt hatte. Sie sprachen in Schulen, Berufsschulen und Lehrerkongressen und ernteten dort „großes Interesse“. Sie übergaben dem Bundeskanzleramt eine dreizehn Meter lange Papierrolle mit Unterschriften von besorgten SchülerInnen eines deutschsprachigen Gymnasiums in der Türkei. Im Frühling schließlich stellten sie sich zu einem fröhlichen Gruppenbild auf, zwei Finger in allen Mündern, und demonstrierten die Aktion „Wir pfeifen auf den Muttertag“. Am 8. Mai, am Tag des Sieges über den deutschen Nationalsozialismus, so ihr von vielen Initiativen unterstützter Vorschlag, sollten die Berliner Kinder und Jugendlichen besser einen Friedenstag in den Schulen feiern.

Nun ist der Frieden zwischen den Kulturen gefährdeter denn je. Aber umso mehr lassen sich die „Mütter gegen Gewalt“ einfallen. „Viele Leute wollen ja durchaus etwas für die Flüchtlinge tun“, weiß Tülin, „sie wissen bloß nicht, was. Und die wollen wir erreichen.“

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