Christliche Symbole sprechen aus kommunistischen Heiligtümern

■ Arbeitsgruppe berät über Zukunft politischer Gedenkstätten Kunsthistoriker: DDR bediente sich der Legendensprache der Bibel

Berlin. Gemeinhin galt die DDR als atheistischer Staat. Religion, wußte jeder Schulbub, benebelt den revolutionären Geist des Arbeiters. Doch auch diese letzte gemütliche Gewißheit über den untergegangenen Staat steht jetzt zur Disposition. Nachdem Alt- Marxisten und DDR-Nostalgiker schon zähneknirschend akzeptieren mußten, das ihr Lieblingsstaat ökonomisch bankrott war, erteilen ihnen diesmal die Kunsthistoriker eine bittere Lektion: Statuen, Ehrenmäler und Gedenkstätten für die Opfer des Faschismus bedienen sich der Legendensprache der Bibel, antifaschistische Mahnmale sind auf nachgeahmten »Golgatha- Hügeln« errichtet, und in Bronze gegossene realsozialistische Aufbauhelfer blicken wie Jesus über den See Genezareth. Wenn es darum ging, DDR-Geschichte in Bronze wirkungsvoll zu verewigen, verzichteten selbst die atheistischsten Genossen nicht auf christliche Symbole. Für ihre geschichtsgesättigten Botschaften über die Entstehung der DDR als Endpunkt der Weltgeschichte bedienten sich die Bildhauer der DDR gern der biblischen Bildersprache. Das ist das Ergebnis einer Untersuchung, die der Kunsthistoriker Paul Thiel jetzt im Rahmen einer Veranstaltung der Senatskommisssion zur Begutachtung politischer Denkmäler in Ost-Berlin vorgestellt hat. Die ausgestreckte Hand des Sowjetsoldaten sei nicht nur die erste Anbahnungsgeste zur deutsch-sowjetischen Freundschaft, sondern geradezu ein christliches Symbol, wieder in die »Religionsgemeinschaft aufgenommen zu sein«. So werde die Bebilderung der DDR- Nationalhymne »Auferstanden aus Ruinen« in einem Relief am Prenzlauer Berg mit dem christlichen Erlösermotiv untermauert. Ehren- und Mahnmale der DDR, erklärte Thiel, seien keineswegs immer so plump wie das Lenindenkmal; oft sei zwischen dem ästhetischen und ideologischen Gehalt einer Statue ausbalanciert worden. Das Emailrelief am Haus des Lehrers zeige die klassische Dreierkombination der DDR-Ikonographie: Die Kopftuchfrau, die Lebensfreude und Arbeitsfleiß ausdrücke, den Brigadier, der die Errungenschaften des Sozialismus verteidige, und den Aufbauhelfer der fünfziger Jahre. sol