Die einfache Wahrheit

■ Alexander Osang zum zweiten

Die Berliner Zeitung wollte mal zur Washington Post Deutschlands aufsteigen, ist aber immer noch (nicht mehr als) ein auflagenstarkes Lokalblatt. In krisenfester Biederkeit vereint sie 80zeilige Notizen im Feuilleton, Kurzinfos zu Öffnungszeiten, behäbige Kommentare und Anzeigen. Alexander Osang ist bekanntlich Reporter bei der Berliner Zeitung und das Gegenteil von bieder, behäbig und provinziell.

In diesem einen wirr-kurzen Jahr hat er gleich zwei Bücher auf den Markt geworfen: »Man ist ja auch ein bißchen eitel, und so ein Buch fetzt schon!« Eitelkeit ist nicht der schlechteste Impuls, und daß Reporter auch fühlende Wesen sind, freut einen doch. Denn Osangs zweites Buch »Aufsteiger- Absteiger. Karrieren in Deutschland« ist besser als sein Reportagenband, der ja auch nicht ganz schlecht war.

Osang hat die VIPs und Ex- VIPs besucht, mit Tennisstars und Ministerpräsidenten geplauscht. Sein Who-is-Who-In-Germany verknüpft Porträt um Porträt die individuelle Biographie mit politischen Ereignissen und verleiht so noch dem Tun eines Volksmusikduos so etwas wie eine historische Dimension, in der Kriterien wie Integrität, Versagen oder Verrat eine Art ethisches Lackmuspapier bilden. Quasi ein »Was erfordert die historische Situation von mir« und »Genüge ich meinem eigenen Selbstbild«.

Osangs Methode ist dabei ebenso einfach wie effektvoll: Er erzählt, und das aus der Froschperspektive, unvoreingenommen, aber distanziert. Präzise Beobachtungen werden durch Selbstaussagen der Interviewten ergänzt, in denen — selten — stille Größe und — oft — gar nicht edle Einfalt aufleuchten wie die Sterntaler. Osangs karg-lapidare Kommentare enttarnen im Opernsänger Emmerlich die unseligen Ambitionen fürs Politische und im Jugendradio-Chef Schiwak den kreativen Diktator. Osang bedient ganz seriös die Neugier aufs Private aus der Sicht des Manns von nebenan; das ist offenbar ein Geheimnis seines Erfolgs. Mit depressivem Frösteln stellt er fest, daß es kalt ist in ostdeutschen Stuben, um zwei Zeilen weiter (traurig) zu konstatieren, wie Tamara Danz sich im Thalheim-Syndrom an alten Platten wärmt: »Was soll das Gequatsche von morgen. Gestern waren wir gut drauf.«

Larmoyanz ist nicht Osangs Ding. Er sieht ganz genau hin, wenn Momper von der Popularitätswippe fliegt, wenn die Eitelkeit die Ehrlichkeit killt. Im Gegenzug fungieren Leute wie Bärbel Bohley als Antitypen zur Knetmasse Mensch, zu spröde, um immer ganz trendy rechte Winkel zu bilden.

In Osangs Welt gibt es dankenswerterweise keine Helden und Vorbilder. Der Reporter hüpft zwar noch einmal wild im Lindenberg-Shuffle und redet noch Tage nach dem Treffen wie Udo. Aber Udo muß jetzt alkoholfreies Bier trinken, und auch Osang ist nicht mehr 14. Er gibt zu, daß er sauer, mißtrauisch, unsicher ist und daß er mitunter sehr cool tut. Osang liebt »Kommentare mit Schaum vor dem Mund«. Wenn er jemanden so wenig mag wie eine eingefroren grinsende Hannelore Kohl im Hausfrauenkostüm, wird er fies — aus Boshaftigkeit gegen höfliche Lügen und vor Brechreiz angesichts des Unechten. Osangs simple und einleuchtende Wahrheit aber gründet sich darauf, daß die Geschichte eines Landes die seiner Bewohner ist. Aller Bewohner.

Alexander Osang wird derzeit im Eiltempo neben Maxim Biller, Max Goldt und Christoph Dieckmann in einen Feuilletonolymp gehievt. Er hat nicht nur das Zeug zum Shooting Star; er ist anscheinend auch noch ein guter Mensch. Falls Tempo oder der Spiegel ihn tatsächlich wegloben, wird die Berliner Zeitung etliche Abonnements einbüßen. Sie wird im wahrsten Sinne des Wortes büßen. Anke Westphal

Alexander Osang, »Aufsteiger- Absteiger. Karrieren in Deutschland«, Chr. Links Verlag, 165 Seiten, 20 Fotos, brosch., 24,80 DM.