„Was fehlt ist das Abenteuer“

■ Kinderpsychologin: Erlebnisse bieten Schutz vor Sucht

Der Computer als AbenteuerersatzFoto: Jörg Oberheide

Wenn die Sucht erst mal da ist, ist Heilung schwierig: Therapien sind langwierig und kostspielig und können keinen Erfolg garantieren. Eltern, Pädagogen und Politiker fordern darum im Chor Prävention, um Kinder und Jugendliche vor dem Abgleiten in die Sucht zu bewahren. Wie aber läßt sich vorbeugen? Die klassischen Anti- Drogen-Kampagnen, die mit erhobenem Zeigefinger vor dem Teufelszeug Alkohol oder Drogen warnen, gelten heute allgemein als gescheitert. Auch die am Wochenende in Bremen tagenden Kinder- und Jugendtherapeuten suchten nach Antworten auf die

Frage nach einer sinnvollen Prävention.

„Der beste Schutz ist eine gute Beziehung zu einem anderen Menschen“, meint die Bremer Kindertherapeutin Heidi Bayer- Kuhlmann. „Dazu gehören auch Frustrationen und Konflikte, wie in jeder Beziehung. Auch Streiten will gelernt sein.“ Fehlt die Beziehung, sucht das Kind nach einem Ersatz und kann abhängig werden: von einer Droge oder einem Verhalten. In ihren Praxen behandeln die Kinderherapeuten naschsüchtige, videospielsüchtige und sogar telefonsüchtige kleine PatientInnenen.

Neues Spielzeug birgt neue Gefahren: „Bei diesen neuen Technologien wie dem Game Boy stehen ja ganze Industrien dahinter, die ein Interesse daran haben, das zu vermarkten“, meint die Psychologin: Im Kaufhaus, wo Kinder sonst nichts anfassen dürfen, können sie jederzeit an die Tasten, joy- sticks und Bildlschirme. Dennoch möchte Heidi Bayer-Kuhlmann Computer und Video nicht dämonisieren: „Ein Gerät an sich kann nicht gut oder böse sein. Das ist immer abhängig vom Menschen, der es bedient. Das Spielen darf nur nicht zum Ersatz werden für wirkliche Erlebnisse.“

Schwierig sei für Kinder vor allem der Übergang von der Kindheit in die Erwachsenenwelt. „Es fehlen Initiationsriten“, stellt die Psychologin fest. „Früher war das die Konfirmation. Oder man schenkte dem Kind zum zwölften Geburtstag eine Uhr. Aber man kann solche Rituale ja nicht herbeizaubern.“

Für die Psychologin ist ein Kind dann videosüchtig, wenn es sich nur noch Videos „reinzieht“ und keine Verabredungen mit Freunden mehr trifft: „Wenn die passive Aufnahme an die Stelle des aktiven Handelns tritt.“

Als Suchtprävention empfiehlt Heidi Bayer-Kuhlmann daher echte Erlebnisse: „Einer Gruppe von video-süchtigen Kindern sind beim Zelten an der Nordsee fast die Luftmatratzen davon geschwommen. Davon haben die Kinder noch monatelang gezehrt.“

Daß Kinder und Jugendliche auf der Suche nach außergewöhnlichen Erfahrungen seien, merke man auch an der Popularität des Bungee-Springens. Auch das könnte zur Sucht werden, meint die Psychologin, „wenn es nicht so teuer wäre“. Vor lauter Reizen nähmen Kinder gar nichts mehr richtig wahr: „Was fehlt, ist das Abenteuer.“

Diemut Roether