Kumpel bleiben über Tage

Die britische Regierung will demnächst 30 Bergwerke schließen. Damit ist die Kohleindustrie des Königreiches praktisch am Ende  ■ Aus London Ralf Sotscheck

Die britische Regierung will dem Bergbau die Totenglocke umhängen. Wie am Wochenende bekannt wurde, sollen noch in diesem Jahr 30 Bergwerke geschlossen werden. Über 50.000 Jobs gehen dadurch verloren - 30.000 in der Kohleindustrie und 20.000 in abhängigen Branchen.

Die erste Phase wird schon morgen beziehungsweise am Mittwoch eingeläutet, wenn die staatliche Kohlegesellschaft British Coal ihre schwarze Liste mit 20 Bergwerken veröffentlicht. Weitere zehn Bergwerke folgen noch vor Jahresende. Damit steht die britische Kohleindustrie praktisch vor ihrem Ende: Es bleiben nur noch 16.000 Arbeitsplätze in 20 Bergwerken übrig - und die sollen zukünftig privatisiert werden. In dem am schlimmsten betroffenen Revier in Nottinghamshire wird die Arbeitslosigkeit um mehr als sechs Prozent steigen.

Die Stillegungen sind der größte Kahlschlag seit 1984. Damals reagierte die Gewerkschaft National Union of Mineworkers (NUM) unter ihrem Vorsitzenden Arthur Scargill mit dem längsten Streik in der britischen Geschichte. Er endete jedoch mit einer Niederlage und der Abspaltung der gemäßigten Union of Democratic Mineworkers (UDM). Der geplante Todesstoß hat nun zu ersten Kontakten zwischen den rivalisierenden Gewerkschaften geführt. Gemeinsame Aktionen oder gar eine Fusion schlossen beide Seiten allerdings aus.

Die NUM wird wahrscheinlich auf ihrer nächsten Konferenz am kommenden Donnerstag in Sheffield einen Streik beschließen, der dann von den Mitgliedern per Urabstimmung abgesegnet werden muß. Die Erfolgsaussichten sind jedoch gering: Großbritanniens Kohlevorräte reichen für mindestens ein Jahr. In den Kraftwerken lagern 32 Millionen Tonnen Kohle, vor den Gruben weitere 14 Millionen.

Die UDM ihrerseits fühlt sich von der Regierung und dem zuständigen Industrieminister Michael Heseltine hintergangen. Bisher genoß sie, im Gegensatz zur radikalen NUM, eine bevorzugte Behandlung und wurde über neue Entwicklungen frühzeitig informiert. Diesmal jedoch nicht: Heseltine will für die Bekanntgabe der Stillegungen offenbar die Parlamentsferien in dieser Woche nutzen, um den politischen Schaden zu begrenzen. British Coal wollte vor der Bekanntgabe zwar wenigstens die Verträge mit der privatisierten Stromindustrie unter Dach und Fach bringen, doch die Verhandlungen stecken in der Sackgasse.

Die Regierung hat versucht, die privaten Stromanbieter zur Abnahme von 40 Millionen Tonnen Kohle im nächsten Jahr und 30 Millionen Tonnen in den folgenden Jahren zu verpflichten, um die Überreste von British Coal für potentielle Käufer attraktiver zu machen. Das ist nur knapp die Hälfte der Menge, die British Coal vor der Strom-Privatisierung lieferte, doch die Stromindustrie spielt da nicht mit. Sie hat bereits langfristige Verträge mit Gaskraftwerken und der staatlichen Atomindustrie abgeschlossen. Der Versuch Heseltines, die Verträge mit den Atomkraftwerken teilweise aufzulösen, wurde von den beamteten Atommanagern mit einer Klage gegen die Regierung beantwortet. Sie argumentieren, daß das Überleben der Atomindustrie dadurch gefährdet werde. Scargill hielt in der vergangenen Woche dagegen, daß die Kohleindustrie gerettet wäre, würde sie im selben Maße wie die Atomindustrie subventioniert.

Doch eine Kohle-Subventionierung steht für die Regierung nicht zur Debatte. Für die Kumpel bleibt nur der Gang zum Sozialamt, da in den Kohleregionen Arbeitsplätze ohnehin Mangelware sind. Auch bei den sozialen Entlassungsabfindungen zeigt sich die Tory-Regierung unnachgiebig. Mehr als 10.000 Pfund, die den Bergarbeitern bei freiwilliger Kündigung bereits angeboten wurden, sind nicht drin. British Coal hatte einen Zusatzfonds in Höhe von 800 Millionen Pfund gefordert, um Unruhen und Streiks zu vermeiden. Das Londoner Finanzministerium hat jedoch 121 Millionen Pfund aus dem EG-Hilfsprogramm für Kohlereviere blockiert. Dieses Geld wird von der EG nämlich nur zur Verfügung gestellt, wenn die britische Regierung einen Betrag in gleicher Höhe zuschießt. Bei dem derzeitigen Haushaltsdefizit sei das nicht zu leisten, hieß es.

Auf dem Tory-Parteitag in der vergangenen Woche erwähnte Heseltine den Todesstoß für die Kohleindustrie mit keinem Sterbenswort. Dennoch war spätestens seit Mitte September bekannt, daß die Regierung etwas im Schilde führte. Damals veröffentlichte der Guardian eine Presseerklärung, die die Regierung zwar wohlweislich vorbereitet hatte, jedoch eigentlich noch geheimhalten wollte. Heseltine weigerte sich bis jetzt, zu dem peinlichen Dokument Stellung zu nehmen.

Aus dem Begleitschreiben des Staatssekretärs im Industrieministerium, Tim Sainsbury, an seinen Kollegen im Finanzministerium, Michael Portillo, geht hervor, daß in der Regierung keine Einigkeit darüber herrscht, wie mit den politisch sensiblen Stillegungen umzugehen sei. Sainsbury versucht in dem Brief, Portillo davon zu überzeugen, daß das Finanzministerium Gelder aus Sonderfonds für die betroffenen Reviere zur Verfügung stellen müsse: „Wir haben so wenig in der Hinterhand, um eine direkte Antwort der Regierung in die Stillegungserklärung einzubauen, daß es mir pervers erscheint, nicht jetzt schon politischen Kredit für etwas zu beanspruchen, das wir am Ende sowieso tun müssen.“

Sainsbury weist am Schluß seines Schreibens darauf hin, daß sein Brief nur einem eng begrenzten Personenkreis zugänglich gemacht werden dürfe, da er den Torys schaden könnte. Scargill gelang es jedoch, sowohl den Brief als auch die Presseerklärung in seinen Besitz zu bringen - „mit äußerst zweifelhaften Methoden“, wie British Coal behauptet. Scargill antwortete darauf: „Diese Abschlachtung der Industrie ist nicht nur für die britischen Bergarbeiter und die Reviere eine Katastrophe, sondern auch für die britische Wirtschaft, die ohnehin am Rande des Zusammenbruchs steht.“