Repression nur, wenn die Spielregeln verletzt werden

■ Interview mit Paul Vasseur, Drogenbeauftragter in Amsterdam, zur Bremer Lage

Mit knapp 700.000 Einwohnern und etwa 6.300 Abhängigen von harten Drogen ist die Hafenstadt Amsterdam etwa in der gleichen Lage wie Bremen — auch hier kämpft man mit vereinten Kräften seit Jahren gegen Drogenhandel, zureisende Junkies und die Belästigung der Anwohner durch Prostitution, herumliegende Nadeln, Lärm und Kriminalität.

taz: Herr Vasseur, Ihr Kollege Guus van der Upwich bekommt in Bremen zur Zeit Schelte im Senat. Die Anwohner im Stadtteil Ostertor bauen Barrikaden, Eltern schicken ihre Kinder nicht mehr zur Schule. Alle haben von Prostitution, Junkies, herumfliegenden Kondomen und Spritzen die Nase voll. Die liberale Drogenpolitik scheint vorerst am Ende. Kommt Ihnen das bekannt vor?

Paul Vasseur: In Ansätzen. Es gibt immer drei Sorten von Beschwerden: über den durch Prostitution verursachten Lärm, den Dreck auf der Straße und darüber, daß Polizei und Sozialbehörden tatenlos zusehen. Zu einer solchen Eskalation ist es in unserer Stadt jedoch noch nicht gekommen.

Wegen der vielgerühmten Toleranz der Niederländer?

Sicher nicht nur. Als konkrete Geste hat sich die Amsterdamer Regierung schon lange bereit erklärt, in den betroffenen Gegenden dementsprechend mehr reinigen zu lassen. Außerdem versucht die Polizei seit geraumer Zeit recht erfolgreich, die Prostituierten und die Drogenabhängigen räumlich zu trennen, um die Belastung in Grenzen zu halten.

Auch in Amsterdam sind aber die meisten Prostituierten drogenabhängig ...

Ja. Aber sie wissen, daß ihr Einkommen sinkt, wenn sie sich schlecht benehmen. Sobald sie einen schlechten Ruf bekommen, bleiben die Kunden weg. So einfach ist das. Deshalb sorgen sie selber dafür, daß die Anwohner sich nicht zu laut beschweren.

Und wo bleiben die übrigen Drogenabhängigen, die nicht „materiell abhängig“ von der Bevölkerung sind?

Zunächst einmal tauchen etwa 75 Prozent nie auf der offenen Drogenszene auf, sondern haben einen festen Wohnsitz und leben wie Sie und ich. Das mag damit zu tun haben, daß in den Niederlanden Drogenabhängige nicht aus dem Hilfesystem rausfallen, wenn sie nicht clean werden wollen. Methadon spielt dabei eine wichtige Rolle.

... Was nichts daran ändert, daß einen auch in Amsterdam regelmäßig Junkies anbetteln ...

Aber sie belästigen die Leute nicht. Die Polizei ist ständig vor Ort. Junkies, die sich schlecht benehmen, werden entfernt. Da man das Problem nicht aufs Land verlagern kann, muß man dafür sorgen, daß die unterschiedlichen Parteien miteinander auskommen. Das wiederum geht nur, wenn die Belästigung nicht zu groß wird. Wir diskutieren auch mit den Anwohnern mögliche Aufenthaltsorte für Junkies und Prostituierte.

Das klingt ja wie ein Vertrag ...

Ist es auch. Die Prostituierten kontrollieren ihren Bereich, wir räumen auf und kontrollieren; das Abhängigenhilfesystem stellt ein flächendeckendes und funktionierendes Spritzenaustauschprogramm zur Verfügung. Die Bevölkerung auf der anderen Seite weiß, daß sie sich der Junkies nicht einfach entledigen kann. Alle sind aufeinander angewiesen. Und die Junkies wissen, daß wir ihnen jederzeit helfen, solange sie Verabredungen einhalten und den Anwohnern nicht zur Last fallen. Sonst greift die Polizei ein.

Nun ist der Einsatz von Polizei nicht gerade ein Markenzeichen liberaler Drogenpolitik ...

Das ist das große Mißverständnis, das hinsichtlich unserer Drogenpolitik im Ausland vorherrscht. Unser Hilfesystem ist sehr liberal. Wir akzeptieren Drogenabhängige als Teil der Gesellschaft. Aber wir werden ziemlich aggressiv und repressiv, wenn die Spielregeln verletzt werden. Ohne diese Regeln kann Amsterdam mit dem Problem nicht fertig werden. Das wird in Bremen nicht anders sein. Früher oder später wird man auch dort anfangen müssen, derartige „Verträge“ zu entwickeln, um Eskalationen wie die jetzt aktuellen zu verhindern. Wir werden weder Drogen noch Prostitution los, also müssen wir damit umgehen. Interview: Jeannette Goddar