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Japans Skandalnudel gibt auf

Der in Korruptionsskandale verwickelte mächtigste Politiker Japans, Shin Kanemaru, muß sich dem Druck der Öffentlichkeit beugen  ■ Aus Tokio Georg Blume

Endlich sind die Japaner ihn los. Shin Kanemaru, Nippons heimlicher Herrscher, tritt ab. Was auch die kühnsten Kommentatoren vor Tagen noch nicht vorauszusagen wagten, gaben inoffizielle Quellen gestern vorzeitig bekannt: Noch heute will Shin Kanemaru seine beiden Ämter als Fraktionschef und Abgeordneter niederlegen. Damit wäre sein offizieller Rücktritt aus der Politik komplett. Japan würde seinen bislang mächtigsten Mann verlieren.

In Tokio zweifelte gestern niemand mehr am Abtritt des 78jährigen Kanemarus, der seit 1986 die politische Szene des Landes dominiert. Grund für den überraschenden Rückzug des Politikers ist eine nationale Protestwelle gegen die Korruption, die aufkam, als Kanemaru zunächst zugab, illegale Parteispendengelder angenommen zu haben, daraufhin aber nicht seinen Dienst quittierte. Bereits im August hatte der Fraktionschef der seit 30 Jahren regierenden Liberal- Demokratischen-Partei (LDP) eingeräumt, eine illegale 6-Millionen-Mark-Spende von dem Paketdienst Sagawa-Kyubin erhalten zu haben. Doch zu diesem Zeitpunkt gab Kanemaru nur sein eher symbolisches Amt als Vize-Parteichef auf und blieb auf Anraten seiner Partei Fraktionsvorsitzender.

Mit dem Ausmaß der Empörung, die seither die Öffentlichkeit ergriff, hatte offenbar niemand in den Regierungsspitzen gerechnet. Lokale Parlamente versammelten sich und schickten Protestnoten nach Tokio. Ein Abgeordneter bat um Postkarten, die den Rücktritt Kanemarus fordern sollten, und erhielt innerhalb von drei Tagen 300.000 Zuschriften. Während sich die Oppositionsparteien im Parlament zu keiner gemeinsamen Position zusammenfinden konnten, solidarisierten sich die Frauenverbände der Opposition gegen Kanemaru und riefen zu öffentlichen Veranstaltungen auf. Langsam sickerte der Unmut mit Kanemaru auch in der Regierungspartei durch: Am Montag forderte erstmals ein Kabinettsmitglied, Bauminister Taku Yamasaki, den Fraktionschef zum Rücktritt auf. Obwohl Regierungsmitglieder persönlich nicht betroffen sind, breitete sich politische Krisenstimmung aus.

Kanemaru hatte nie selbst als Regierungschef amtiert. Aber er hatte die Wahl der letzten drei Premierminister selbst vorgenommen und war für alle großen politischen Entscheidungen des Landes verantwortlich. Zuletzt arrangierte er den bevorstehenden Besuch des japanischen Kaisers in China und bestellte das 100-Milliarden-Mark schwere Konjunkturprogramm der Regierung. Ein endgültiges Ausscheiden Kanemarus wird die japanische Politik vor eine Zeitenwende stellen.

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