■ Gegenfeier zum Kolumbus-Tag in Mexiko-Stadt
: Kreuz aus der Hand geschlagen

Mexiko-Stadt (taz) — „Die Begegnung zweier Welten“ war die offizielle Version des Kolumbus- Tages am 12. Oktober in Mexiko. Der Tag der Rasse heißt dieser Tag auch traditionsgemäß. „Ein Tag, der nicht für Sieg oder Niederlage, sondern für die schmerzhafte Geburt der Rasse der Mestizen steht“, so die Inschrift eines Denkmals.

Schon am Vortag waren 500 Läufer von Alaska bis Feuerland vor der 63 Meter hohen Sonnenpyramide in der heiligen präkolumbianischen Stätte Teotihuacan angekommen. Mit gemeinsamen Ritualen und traditionellen Tänzen und Gesängen gedachten sie 500 Jahre indianischen Widerstands gegen die Eroberer. Die Läufer, die teilweise seit Mai beziehungsweise September unterwegs sind aus Nord-, Zentral- und Südamerika, haben einen regelrechten Wiedereroberungsmarathon hinter sich.

„Es waren harte Tage durch Berge, Wüsten und Dschungelgebiete, aber die lange Reise endet hier mit der gemeinsamen Suche nach unseren Wurzeln“, sagt einer der Läufer, und der sechzigjährige Gustavo Gutierrez, Opata-Indianer aus Arizona, fügt hinzu: „Wir sind hergekommen, um unsere Kultur zu stärken und für indianische Rechte zu kämpfen.“ Bereits in der Nacht zum Sonntag wurden die Läufer und Sternmarschierer auch aus allen Regionen Mexikos auf dem Zocalo, dem Hauptplatz Mexikos, erwartet. Während in dem Gotteshaus, das auf den Resten der präkolumbianischen Stadt Tenochtitlan erbaut wurde, Kinderchöre singen und Geistliche sich für das Unrecht der Eroberung bei den „Indigenas“ entschuldigen, findet auf dem Platz eine Art Volksfest statt. Etwa 20.000 Menschen gedenken des indianischen und schwarzen Volkswiderstands der letzten 500 Jahre. Vertreter der Oppositionsparteien, Gewerkschafter, Volksorganisationen, Gruppen von „chavos bandas“, mexikanische Punks und weißgekleidete Spiritualisten.

Immer wieder kommen Marschierer an, die jeweils mit starkem Applaus empfangen werden. An den vier Kardinalpunkten der prähispanischen Kosmovision meditieren weißgekleidete Spiritualisten. Anhänger des Leuchtenden Pfades fordern die Freilassung des „Commandante“ Abimail Guzman (das machen sie leider nicht nur dort, d. Red.). Am Rande des Platzes sitzen 15 Indigenas des Komitees der CNPI, des „Nationalen Indianischen Komitees“, die sich seit zehn Tagen im Hungerstreik befinden, die legale Anerkennung ihres Landes fordern und gegen die Mißachtung der Menschenrechte der Indigenas protestieren. „Der mexikanische Staat ehrt nur die toten Vorfahren der Indigenas“, sagt José del Val, Leiter des nationalen indianischen Instituts, „und der vergißt dabei die Indigenas, die heute verhungern. 20 Prozent der Bevölkerung Mexikos sind Indigenas, aber sie werden durch keine politische Partei vertreten.“ Der Volkszorn richtet sich vor allem auch gegen das Kolumbus-Denkmal auf der Prachtstraße Reforma. Zu nächtlicher Stunde legten dort Protestanten einen Hundekadaver dem Eroberer vor die Füße. Marschierer werfen Farbeier gegen den steinernen Eroberer, und einem der steinernen Geistlichen wird das Kreuz nebst einem Finger aus der Hand geschlagen.

Am Nachmittag löst sich das Fest im Platzregen auf. Eine Indianerin versucht vergeblich, den Altar zum Gedenken an die Opfer des indianischen Widerstands vor Nässe zu schützen. Eine Gruppe jener bleichen Spiritualisten steht knöcheltief im Wasser und versucht die kosmische Energie aufzunehmen. Die soziale Situation der Indigenas wird nur noch bis Mittwoch nächster Woche in den Medien sein, prophezeit José de Val. Ute Sturmhoebel