Blick Richtung Individuum

■ „Mirada de Mujer — Frauenblicke aus Lateinamerika“. Ideen der neuen Frauenbewegung finden ihren filmischen Niederschlag.

Die neue Filmreihe des „Vereins zur Förderung feministischer Film-Bildungsarbeit e.V.“ beginnt ihre Reise durch deutsche Städte. Nachdem die 29 Filme, die einen Einblick in das Schaffen lateinamerikanischer Regisseurinnen gewähren, erstmalig in Berlin präsentiert wurden, ist ein Teil der Reihe dieser Tage in Hamburg, Lübeck, Kiel, Hannover und München zu sehen. Die Reihe reflektiert die Entwicklung weiblicher Filmarbeit in der Neuen Welt. Frauen waren in Lateinamerika seit den Anfängen des Kinos als Regisseurinnen tätig, doch der Durchbruch gelang erst im Zuge weltweiter gesellschaftspolitischer Umwälzungen Ende der sechziger Jahre. Sozial und politisch engagierte Filmemacherinnen richteten die Kamera zunächst auf die in extremer Armut lebenden Bevölkerungsschichten. Spätestens Ende der siebziger Jahre fanden Ideen der Neuen Frauenbewegung ihren filmischen Niederschlag. Filme entstanden, deren Mittelpunkt erstmalig aktive, selbstbewußte, kämpferische Frauen bildeten.

Den Höhepunkt des „Mirada de Mujer“ (Frauenblick) stellt die Werkschau der Argentinierin Maria Luisa Bemberg dar. Ihre fünf Spielfilme sind Porträts entfremdeter Frauen, die sich aus der „Gefangenschaft“ patriarchalischer Strukturen lösen und denen die Entwicklung zum autonomen Individuum gelingt. Maria Luisa Bemberg favorisiert Protagonistinnen, die Grenzen überschreiten und „es wagen, etwas zu wagen, Frauen, die vom üblichen Modell abweichen und Vorkämpferinnen sind“. Die Regisseurin selbst ließ nach 25jähriger Ehe die Frustration und Leere eines Frauenlebens hinter sich — mit 48 Jahren war die Scheidung der „erste Schritt zu mehr Selbständigkeit“. Sie gründete die Union Feminista Argentina, verfaßte Drehbücher und erlebte mit 60 Jahren ihr Regiedebüt, weil sie wollte, „daß die Filme wirklich das reflektieren, was ich zu sagen hatte“. Bembergs Filme „Augenblicke“ (1980), „Ich gehöre niemand“ (1982) und „Miss Mary“ (1986) sind autobiographisch eingefärbt. Die beiden ersten zeigen zwei Ehefrauen, die sich aus erdrückenden Beziehungen lösen. „Miss Mary“ thematisiert Kindheitserinnerungen der Filmemacherin an ihre englischen Gouvernanten, „ein Transportmittel für die patriarchalischen Ideen eines sehr konservativen Systems“.

Maria Luisa Bemberg fühlt sich verpflichtet, die „systematische Verdummung“ der Frau darzustellen, „ihre fortgesetzte soziale, ökonomische und emotionale Abhängigkeit anzuklagen“. In „Camila“ (1984) thematisiert sie die Kollision zwischen einem Liebespaar und der einengenden Moral der argentinischen Gesellschaft im letzten Jahrhundert. Eine Tochter aus wohlhabendem Haus und ein junger Jesuitenpater werden zu Opfern ihrer verbotenen Gefühle. Wenn Liebe stärker ist als das Zölibat und die Gesellschaft an bigotten Sexualcodes festhält, endet sie leicht tödlich. „Camila“ ist Bembergs Revision eines Stücks weiblicher Geschichte. Die Regisseurin mißtraut den historischen Mythen dieser wahren Begebenheit, die vom unschuldigen, süßen, reinen Mädchen sprechen, das verführt wurde. Sie folgert statt dessen: „Ein traditionelles, katholisches, jungfräuliches Mädchen, das mit einem Priester durchbrennt, das muß schon was auf dem Kasten haben.“

Der bislang letzte Film der Argentinierin, „Ich, die Unwürdigste von allen“ (1990), porträtiert den Weg der ersten intellektuellen Frau Lateinamerikas von Ruf, Juana Inés de la Cruz. 300 Jahre vor Virginia Woolfs berühmtem Essay schwor sie im 17. Jahrhundert der Ehe ab und ging ins Kloster, um in ihrem „Zimmer für sich allein die beruhigende Freiheit neuer Bücher“ zu genießen. Bembergs Film basiert auf einer historischen Vorlage. Wie in Jacques Rivettes „Die Nonne“, ist die katholische Kirche gleichermaßen unerbittlich mit ihren rebellischen Töchtern. „Verschwiegenheit ist der Schlüssel der kirchlichen Macht“, behauptet der Erzbischof Mexikos in Bembergs Film und erreicht mit diskreter Korruption sein Ziel: die Beseitigung einer kritischen, für ihre Zeit zu modernen Frau. Die Allianz aus weiblichen Neiderinnen und männlichen Hütern der Macht bedeutete das Ende der literarischen Karriere der Nonne, die über die größte Bibliothek Lateinamerikas verfügte, zahlreiche Theaterstücke und (der Vizekönigin gewidmete) Liebesgedichte sowie theologisch verwegene Schriften verfaßte. Nachdem man das Zimmer der geistlichen Dichterin versiegelt und ihre Bücher verbannt hatte, pflegte Sor Juana Pestkranke, um bald darauf im Alter von 46 Jahren zu sterben — Krankheit als Metapher! Andrea Winter