Katastrophen-Verdrängung

■ Vor der vierten Premiere des Jugendtheater auf Kampnagel 'Alles Matjes– kommenden Donnerstag bedrückt die ungeklärte Finanzierung der nächsten Spielzeit das Ensemble

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Donnerstag, bedrückt die ungeklärte Finanzierung der nächsten Spielzeit das Ensemble

Jugendtheater-Chef Jürgen Zielinski scheint eine geheime Vorliebe für Inselsituationen zu haben. Nach seiner Antrittspremiere Speckpferde, die in einer schiffsbauch- ähnlichen Kulisse ein von der Außenwelt abgeschnittenes Lehrerkollegium darstellte und der Soldaten- Geschichte Robinson & Crusoe ist auch die Ausgangssituation der neuen Produktion Alles Matjes (Premiere am 22. Oktober) ein Ort ohne Fluchtmöglichkeit.

Auf dem Hochseefrachter „Matjes“ entdecken die Passagiere, daß die mitgeführten Fässer nicht harmlosen Sirup, sondern eine unbekannte, aber scheinbar gefährliche Substanz enthalten. Aus dieser klaustrophobischen Situation entwickelt sich eine Geschichte um „die Verdrängung von Katastrophen, um Ignoranz, Habgier und Gewaltbereitschaft“, so Zielinski, die kannibalisch endet.

Diese Verdrängungsbereitschaft gegenüber tödlicher Bedrohung „kann man nur mit drastischen Mitteln darstellen“ verspricht er und betont, daß auch diese Produktion sich wieder völlig von allen vorherigen unterscheiden werde. Ein Rezept, das mit den bisherigen drei Produktionen vollauf geglückt ist und das Jugendtheater auf Kampnagel schon nach kürzester Zeit zu einem unverzichtbaren Teil der Hamburger Theaterlandschaft hat werden lassen.

So kann sich Zielinskis Zwischenfazit trotz diverser finanzieller und kampnagel-spezifischer Zusatzproblemen und einer immer noch ungewissen Zukunft des Projekts wahrlich sehen lassen. Neben seiner in ihrer ganzen Eigenwilligkeit überzeugenden Inszenierungsarbeit, bewies das Team auch ein sicheres Gespür für aktuelle Themen. Insbesondere die Entwicklung des Skinhead-Stücks Abwege bewies geradezu prophetische Intuition.

Trotzdem bestehen noch viele Ungewissheiten über die Weiterarbeit des Jugendtheaters. Zwar bekräftigte Kultursenatorin Christina Weiss Zielinski in einem Brief den festen Willen, sich für den Bestand des Theaters über den Projektzeitraum (bis Juni '93) hinaus einzusetzen. Auch die notwendigen Aufwendungen von knapp 2 Millionen Mark für ein Jugendtheater, das dann aus dem allgemeinen Kampnagelbetrieb herausgelöst werden würde, hätten, laut Zielinski, in der Kulturbehörde „keinen Schrecken ausgelöst.“ Doch betreffen derartige Überlegungn erst das Haushaltsjahr '94 und lassen die Fortführung der Arbeit in der zweiten Jahreshälfte 93, nach Ablauf der „Versuchszeit“, im Ungewissen.

Der leicht erhöhte Etat von 850000 Mark für 1993 müsse, so Zielinski, mindestens um 300000 Mark aufgestockt werden, um die Existenz des Theaters zu sichern. Erschwerend hinzu kommt, daß die 1

2Vertragsverhandlungen über Engagements der Schauspieler für 1993 im November 92 stattfinden, eine endgültige Entscheidung über die Institutionalisierung der Bühne mit einem ausreichenden Etat aber erst Mitte nächsten Jahres zu erwarten ist. Hier ist eine zügige, unmißverständliche Politik der zuständigen Behörde und des Senats gefragt, um dieses einzigartige Theater nicht leichtfertig aufs Spiel zu setzen. Till Briegleb