„Serben wollen Sandzak-Moslems vertreiben“

■ Sulejman Ugljanin ist Präsident des moslemischen Nationalrates des Sandzak

Die Region Sandzak liegt an der Grenze zu Bosnien-Herzegowina und trennt Serbien von Montenegro. 70 Prozent der Gesamtbevölkerung sind Moslems.

taz: Herr Präsident, als sich Serbien und die jugoslawische Bundesarmee Anfang 1991 auf den Krieg vorbereitete, beschlossen die Moslems des Sandzaks, daß sie sich ruhig verhalten würden. Mittlerweile werden die bosnischen Muslimanen getötet oder aus ihrer Heimat vertrieben. Steht dieses Schicksal auch den Moslems im Sandzak bevor?

Sulejman Ugljanin: Wir Moslems im Sandzak verstehen uns als Teil des bosnischen Volkes. Die Moslems des Sandzaks wurden auf dem Berliner Kongreß 1878 von ihrem Mutterland getrennt. Bei einem Referendum im Oktober letzten Jahres haben wir uns mit großer Mehrheit für die politische und wirtschaftliche Autonomie des Sandzaks ausgesprochen. Jetzt ist unsere Zukunft ungewiß geworden. Wir wissen aus serbischen Unterlagen, daß die sogenannte „ethnische Säuberung“ auch im Sandzak durchgeführt werden soll. Zur Zeit befinden sich über 30.000 jugo-serbische Soldaten auf unserem Gebiet.

Rechnen sie mit einem Angriff?

Die Aufrüstung der Serben im Sandzak hat in den letzten Monaten auffällig zugenommen. Irgendetwas brodelt sich da zusammen. Noch sind die Terrorakte vereinzelt und zählbar. Häuser und Autos von Moslems werden in Brand gesteckt. Von den etwa 185.000 Moslems im Sandzak sind schon über 70.000 geflohen. Ihnen wurde erklärt, daß die jeweiligen Gebiete „freigemacht“ werden müßten. Das sind die ersten Anzeichen für die geplante ethnische Säuberung. Aber es gibt auch Flüchtlinge, die aus Bosnien in den Sandzak kommen, bislang etwa 12.000. Sie wurden zum größten Teil in Privathäusern untergebracht.

Welche Möglichkeiten sehen Sie, um den befürchteten Angriff zu verhindern?

Der Sandzak muß zunächst unter den Schutz der Vereinten Nationen gestellt werden. Eines ist aber klar: Wir werden in Zukunft niemals, auch nicht einen Tag, unter den Bedingungen der Serben leben. Wir wollen Autonomie. Und um uns ein ähnliches Schicksal wie das unserer Landsleute in Bosnien-Herzegowina zu ersparen, muß die UNO jetzt frühzeitig reagieren. Ein weiterer Genozid muß verhindert werden.

Ist aber nicht das wirkliche Ziel der Moslems im Sandzak, sich an ihr „Mutterland“ Bosnien-Herzegowina anzuschließen?

Das ist ein ganz natürlicher Prozeß, zu dem es in der Zukunft sicherlich kommen wird. Aber es wäre verfehlt, darüber zu diesem Zeitpunkt nachzudenken. Im Augenblick gilt unsere Aufmerksamkeit und Sorge vielmehr dem schon bislang im Sandzak ausgeübten Terror. Wir wissen zum Beispiel, daß in dem kleinen Ort Pystritza eine unterirdische Atommülldeponie existiert, aus deren Schächten nachts Hilferufe und Schreie von Moslems zu hören sind. Nur, uns verbieten die Serben diesen Ort zu besichtigen. Auch ist uns von einer Kaserne aus Novi Pazar bekannt. Nachts hört man die Menschen schreien.

Wie würden die Moslems im Sandzak im Falle einer serbischen Offensive reagieren? Gibt es Waffen, um überhaupt Gegenwehr zu leisten?

Ob mit oder ohne Waffen, wir werden kämpfen. In der Tat kaufen schon jetzt vereinzelte Bürger den serbischen Offizieren Waffen ab, denn für Geld machen die Serben alles. Auf keinen Fall aber werden wir uns ihnen ausliefern oder das Land verlassen. Wenn uns – wie in Bosnien – keiner zu Hilfe kommt, werden auch wir im Untergrund aktiv.

Es muß noch einmmal klargestellt werden: Überall in der islamischen Welt leben die Christen in Frieden. Uns Moslems aber bringt man in Europa um. Wir haben schließlich ein Recht darauf, westliche Hilfe zu fordern. Wo bleibt hier die Menschlichkeit? Anscheinend brauchen einige Länder – mit Ausnahme von Deutschland und Österreich – diesen Krieg. Interview: Hasso Suliak