Plutonium reist um die halbe Erde

Proteste in Frankreich gegen den Transport von 1,7 Tonnen atomwaffenfähigen Materials nach Japan/ Strenge Geheimhaltung der Route  ■ Von Annette Jensen

Berlin (taz) – Der Computer simulierte den Unfall in der Bucht von Tokio: Der japanische Atomfrachter „Akatsuki Maru“ verliert einen kleinen Teil seiner hochgiftigen Ladung. 55 Kilo Plutonium gelangen in die Umwelt; 40 Millionen Menschen müssen evakuiert werden. Das Meer ist für Zehntausende von Jahren radioaktiv verseucht – Millionen Menschen werden an Krebs erkranken, viele davon sterben. Schon eine Dosis von 0,00001 Gramm im Blut wirkt tödlich.

Das Szenario stammt vom Tokioter Citizens Nuclear Information Center. Damit eine solche Horrorvision nicht Realität wird, versuchen Greenpeace- und Robin-Wood-AktivistInnen seit Tagen, das Tor der Wiederaufbereitungsanlage (WAA) in La Hague und die Kaimauer im Verladehafen Cherbourg zu blockieren. Von hier aus sollen 1,7 Tonnen Plutonium die Reise nach Japan antreten.

Wann genau das in schweren Stahlcontainern zwischen Glasblöcken verpackte Material abtransportiert wird, ist ebensowenig bekannt wie die Route nach Japan. „Wir bewegen sehr spezielles Material, über das die Öffentlichkeit Geheimhaltung erwartet“, kommentierte ein Experte der britischen WAA in Sellafield, der seinen französischen Kollegen bei dem ersten Transport dieser Größenordnung zur Seite steht.

Südafrika, Chile und Argentinien haben dem japanischen Schiff bereits verboten, näher als 200 Meilen an ihre Küsten heranzufahren. Greenpeace vermutet, daß die „Akatsuki Maru“ den kürzesten Weg durch den Panamakanal nimmt. Zwar hat die Regierung des mittelamerikanischen Landes bereits protestiert; aber der Kanal wird nach wie vor von den USA kontrolliert, so daß Panama keine Chance hat, die Passage zu verweigern. Die US-Regierung hat zudem die Mitverantwortung für die Überwachung des Unternehmens übernommen, weil das Ursprungsmaterial von dort stammt. Seit Anfang der 70er Jahre lieferten die USA angereichertes Uran nach Japan, das dort in Atomkraftwerken abgebrannt und anschließend zur Wiederaufbereitung nach Frankreich und England gebracht wurde. Japan kommt jetzt seiner Rücknahmepflicht nach.

Was in Nippon mit dem Plutonium passieren soll, ist unklarer denn je. Zwar gibt es in Japan einige Versuchsreaktoren vom Typ schneller Brüter, für deren Brennstäbe ein Plutoniumanteil von 25 bis 40 Prozent gebraucht wird. Aber deren Verbrauch ist vergleichsweise gering, und auch in Japan wachsen die Zweifel an dieser Technik, von der sich in Westeuropa inzwischen selbst harte Atomlobbyisten verabschiedet haben. Mehrere Nachbarländer haben bereits dagegen protestiert, daß Japan bis zum Jahr 2.000 etwa 45 Tonnen des Atombombenmaterials Plutonium aus Europa zurückholt.

Kritiker der gefährlichen Transports über mindestens 15.000 Seemeilen sehen vor allem drei Gefahren: einen Brand an Bord, ein Versinken der Container oder einen terroristischen Überfall. Die Vertreter der französischen und britischen Atomindustrie aber behaupteten in den letzten Tagen schlichtweg, die Fahrt um den halben Erdball sei „risikolos“. Schließlich werde das Transportschiff auf dem gesamten Weg von Cherbourg bis nach Japan von einem Boot des japanischen Küstenschutzes begleitet. 80 schwerbewaffnete Männer werden auf dem Begleitschiff mitfahren; an Bord des Atomfrachters befindet sich außerdem eine Sondertruppe der japanischen Polizei. Eine Erpressung oder ein Raub des atomwaffenfähigen Materials, immerhin genug, um über 100 Bomben von der Sprengkraft der A-Bombe von Nagasaki zu bauen, sei auf jeden Fall auszuschließen, sagen die Atomiker.

Das US-Verteidigungsministerium schätzte in einer Stellungnahme von 1984 die Gefahren bei einem solchen Unternehmen hingegen weniger lapidar ein: „Selbst bei sorgfältigsten Vorkehrungen kann niemand garantieren, daß die Ladung vor einem Angriff geschützt werden kann.“ Damals wurden erstmals 250 Kilo Plutonium von Frankreich nach Japan transportiert – und außer einer Eskorte von mehreren Kriegsschiffen wurde der Transport sogar von einem Satelliten aus überwacht.