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Flüchtlingshilfe kommt nicht an

■ In Bosnien-Herzegowina sind zehntausende Flüchtlinge ohne ausreichende Versorgung dem Winter ausgeliefert

Der Boden eines halbdunklen, ungeheizten Klassenzimmers ist mit 15 Matratzen bedeckt. Auf ihnen liegen oder kauern Frauen. Kinder sind dabei, auch einige Greisinnen. Draußen vor der Tür haben die Frauen ein offenes Feuer entfacht, um sich das Rindfleisch aus EG-Konserven zu wärmen. Dazu gibt es heute ein paar frische Paprika, die eine der Frauen bei einem Bauern gegen Konserven eintauschen konnte. Es ist ein Festtag heute.

Wir sind in der Schule von Posusje in Bosnien-Herzegowina, 90 Kilometer südöstlich von Split, letzter Ort vor der Grenze zu Kroatien. Schon seit Anfang des Jahres gibt es für die Kinder von Posusje keinen Unterricht mehr. Statt dessen hausen rund 700 muslimanische Flüchtlinge aus Nordbosnien, fast ausschließlich Frauen, in den Gebäuden. Viele Familien sind auseinandergerissen. Die meisten Frauen haben von ihren Männern nichts gehört. Jedes Mädchen, jede Frau hat erschütternde Geschichten zu erzählen von serbischen Greueltaten. Eine 14jährige berichtet mit scheinbar stoischer Ruhe, wie sie als einzige Überlebende ihre Eltern, drei Schwestern, zwei Tanten und zwei Onkel beerdigte.

Nach den Bombardements und Vertreibungsoperationen in Banja Luka oder Jajce lebten im Juli und August für einige Wochen sogar 6.000 Flüchtlinge auf dem Schulhof. Die Flüchtlinge teilen sich drei Duschen, zehn Toiletten und zwölf Waschbecken. Doch Wasser gibt es kaum in Posusje, zu deutsch „trockene Erde“.

Die Schule ist Station auf der zweiten Erkundungsreise des UNO-Sonderberichterstatters für die Menschenrechtssituation im ehemaligen Jugoslawien, Tadeusz Mazowiecki. Branco Levic, der als Freiwilliger des örtlichen Roten Kreuzes das Flüchtlingslager leitet, ist sehr enttäuscht über die „bislang völlig unzureichende internationale Hilfe“. Und er verweist auf die Solidarität der knapp 16.000 Bewohner von Posusje und den umliegenden Ortschaften. 3.300 muslimanische Flüchtlinge wurden in Familien aufgenommen. Und das, obwohl in der Gegend kaum mehr jemand arbeiten kann. Sämtliche Produktionsbetriebe sind seit Monaten stillgelegt. Eine Weiterleitung der Flüchtlinge zur Adriaküste, wo mildere Temperaturen herrschen, ist nicht möglich. Hier sind bereits die meisten Hotels mit Flüchtlingen belegt. Die kroatische Regierung hat die Grenzen nach Bosnien-Herzegowina zudem für Flüchtlinge dichtgemacht. So dürfte die Belastung für den bosnischen Grenzort Posusje in den nächsten Wochen eher noch zunehmen. Es wird mit möglicherweise zehntausend Flüchtlingen aus dem 150 Kilomter nördlich gelegenen Travnik gerechnet. In den Bergwäldern um Travnik, wo der Winter noch härter ist, sind nach UNHCR-Angaben inzwischen rund 30.000 Flüchtlinge angekommen. Sie flohen aus Bosanski Brod und anderen von den Serben eroberten oder bedrohten Orten im Save-Becken. Branco Levic, der gestern mit einem Hilfskonvoi des Roten Kreuzes in Travnik war, berichtet von „unbeschreiblichen Szenen“. Im Vergleich dazu gehe es den Flüchtlingen in der Schule von Posusje noch „relativ gut“. Andreas Zumach

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