Wenn nichts mehr geht: Hilfe im universitären Beton

■ Bei Prüfungsstreß, Sprechangst und persönlichen Krisen: Die Psychologisch-Therapeutische Beratungsstelle an der Bremer Uni

Orientierungsprobleme im Uni-AlltagFoto: Sabine Heddinga

Welcher Studi kennt das nicht? Prüfungsstreß, Referate, die wie Mühlsteine am Hals hängen und die bohrende Frage, wozu das alles? Wieviele studieren vereinsamt vor sich hin, und kommen bald mit gar nichts mehr klar. Weder an der Uni, noch zuhause. Kaum zu glauben, daß es in der betonierten Tristesse der Bremer Uni Hilfe in der Not gibt. Meinold Jaeger arbeitet seit 1976 in der Psychologisch Therapeutischen Beratungsstelle (PTB) des Studentenwerks.

taz: Mit welchen Problemen kommen die Studierenden zu Ihnen?

Meinold Jaeger: Man kann drei große Bereiche unterscheiden. Der erste sind Probleme aus dem Feld in dem sie in den Hochschulen studieren, dann kommen viele, die mit ihren persönlichen Problemen nicht mehr klarkommen. Und schließlich gibt es ein Drittel mit schweren psychischen Störungen.

Da sind zum Beispiel die Arbeitsschwierigkeiten. Wie bewältige ich die wissenschaftliche Arbeit, zeitgerecht, formgerecht usw. Da gibt es viele Leute, die irgendwann mal im Laufe ihres Studiums einfach nicht mehr klar kommen.

Wie sieht dieses „nicht mehr klarkommen“ aus?

Ganz unterschiedlich: Das kann so sein, daß sie sich schon lange vorgenommen haben, ein Referat zu machen, und darin steckengeblieben sind. Oder sie sind glatt durchs Studium gekommen und bei der Diplomarbeit geht plötzlich überhaupt nichts mehr: Völliger Blackout oder Angst zu versagen.

Und dann?

Dann können sie hier ein Beratungsgespräch machen. Wir fragen erstmal: woran liegt es nun eigentlich? Es gibt viele Problematiken, die reinspielen können. Nachdem dies differenziert worden ist, wird nachgefragt, wie es zu dieser prekären Drucksituation kommt. Der nächste Schritt besteht darin, herauszufinden, was man tun kann, um sich zu entlasten. Ein Fragenkatalog hilft zur Planaufstellung: Was hat Priorität? Wie mußt Du Dich dazu einrichten in Deinem Leben? So entsteht Stück für Stück ein realistisches Konzept, das den Druck mildert. Wie entscheidend ist der Zeitdruck?

Viele Leute glauben, daß sie jeden Tag mindestens acht bis zehn Stunden arbeiten müssen. Das Gegenteil ist richtig. Wir haben Gruppen eingerichtet, in denen die Leute unter Anleitung an diesem Problem arbeiten. Und das zunächst nach dem Prinzip, daß sie am Anfang nicht mehr als eine Stunde am Tag arbeiten dürfen. Da schrein alle: Da werde ich ja nie fertig! Aber gerade das hilft, und es wird nur langsam gesteigert. Es ist wichtig, für sich selber Belohnungspausen einzurichten, sich zwischendurch erholen. Eine Taktik, die die meisten versäumen. Diese Lern-Gruppen sind bei uns sehr erfolgreich. Die meisten schließen ihre Arbeit mit dieser Hilfe tatsächlich ab.

Das ist der eine Bereich, ein zweiter Bereich der zu diesem Problemkomplex gehört, ist die Sprechangst. Viele Leute trauen sich nicht, und denken, was sie zu sagen haben ist nicht angemessen oder nicht ausreichend. Zu diesem Problem bieten wir ein verhaltenstherapeutisch orientiertes Training an. Hier kann man lernen, vor großen Gruppen zu sprechen.

Eine andere Situation, die Studierende hier vorbeikommen läßt, ist die Angst in und vor Prüfungen, das bekannte Phänomen des Blackouts. Die Frage ist, wie kann ich mich so vorbereiten, daß ich nicht nur mein Wissen parat habe, sondern auch mit meiner Angst umgehen kann. Das lernt man in den Trainingsgruppen zu Sprechängsten. Die Gruppen zu Arbeitsschwierigkeiten, Prüfungsängste und Sprechängste machen etwa ein Drittel der Problematik aus.

Aber das sind doch nicht die einzigen Fragen, mit denen StudentInnen kommen.

Ein zweites Drittel sind persönliche Probleme aus dem Bereich: Kontakt mit anderen Menschen oder die Frage, was soll ich eigentlich hier an der Universität? Dazu gehören auch alle denkbaren Varianten von psychosomoatischen Störungen. Dazu bieten wir andere Hilfen an. Im Bereich dieser Probleme gucken wir hin, wie lange gibt es dieses Problem schon, wieviele Wiederholungen und Vorläufe davon gibt es? Das erfordert manchmal eine mittelfristig lange Beratungszeit von vielleicht zehn Sitzungen, oder vielleicht eine Therapie. Die kann man bei uns in therapeutischen Gruppen machen. Wir können aber auch Hinweise

Viel studiert und doch Probleme

zu einer Therapie bei niedergelassenen Therapeuten oder Ärzten geben. Das wird in einer nach oben hin offenen Zahl von Beratungsgesprächen geklärt. So lange, bis derjenige die Problemstellung verstanden hat, und sich für die Herangehensweise entscheiden kann.

Das dritte Drittel sind schwere psychische Störungen. Suchtstörungen, Psychosen, oder Probleme von Leuten, die so vereinzelt sind, daß sie kaum dazu in der Lage sind, mit anderen in Kontakt zu treten. Sie werden krank, und müssen entweder ärztlich behandelt, oder sozialpsychiatrisch betreut werden. Hier erfahren sie eine ambulante Betreuung und werden in die Klinik oder zum Arzt begleitet, wo die ambulante Nachsorge stattfindet. Das kann man als eine sozialpsychiatrische Hilfestellung bezeichnen, denn dies ist kein sozialpsychiatrischer Dienst. Die Suchtproblematik

wird hier zwar beraten aber nicht behandelt.

Wieviele Studierende betreuen Sie?

Von der Gesamtstudentenschaft etwa fünf Prozent pro Jahr.

Wer kommt häufiger, jüngere oder ältere Semester?

In den letzten Jahren gibt es eine auffällige Neuigkeit Ein Drittel der Menschen, die zu uns kommen, sind Studierende aus den Anfangssemestern. Ansonsten entspricht das dem Altersschnitt an der Uni. Meine Hypothese zum erhöhtem Zulauf der Anfangssemester: die StudentInnenzahlen sind enorm gestiegen in den letzten Jahren. Und die Orientierungsschwierigkeiten, sind größer geworden. Die Frage, ob ich mit der Ausbildung am Ende auch einen Berufseinstieg schaffe, bringt viele in schwierige psychische Situationen. Deshalb kommen sie in den lezten Jahren häufiger mit den

Fragen aus dem Bereich der persönlichen Probleme.

Dazu kommt noch der Leistungsdruck von außen. Vor zwanzig/dreißig Jahren war der Status eines Studierenden weitaus angesehener. Heute wird gelächelt, wenn jemand sagt, daß er studiert. Und das wird vermutlich noch gravierender: Im Jahr 2005 werden etwa vierzig Prozent studieren. Interview: Vivianne Agena