„Vielleicht muß ich morgen zurück“

■ Gesichter der Großstadt: Ado, 31jähriger Flüchtling aus Zaire, wartet auf das Ergebnis eines Berufungsverfahrens um seine Anerkennung als politischer Flüchtling/ Alltag mit leiser Angst im Nacken

Berlin. Heute ist wieder so ein Tag, an dem er an seiner Nervosität fast erstickt. Schon beim Aufstehen weiß er, daß er heute wieder nichts essen mag, daß er mit niemandem reden mag, daß ihm selbst der Freund, mit dem er das 14 Quadratmeter große Zimmer im Wohnheim teilt, zu viel ist und daß er erst recht den Lärm der Kinder auf den Fluren und im Aufenthaltsraum nicht wird ertragen können. Es wird ihn hinaustreiben in endlose Spaziergänge durch die Straßen, immer mit der leisen Angst im Nacken.

Auch Bus fahren sollte er lieber nicht. Schon an anderen Tagen macht es ihn krank, wenn Mitfahrende spitze Bemerkungen machen, „Scheiß-Nigger“ oder „Ausländer raus“ raunen oder ihn nur anstarren – „und du weißt genau, was sie denken“. Und einschlafen wird er auch nicht.

„Eigentlich mag ich Kinder“, sagt er mit dem Anflug eines traurigen Lächelns. An anderen Tagen hilft er gern im Kindergarten aus, liest den Kleineren vor und hilft den Größeren bei den Hausaufgaben, vor allem in Mathe und Physik. Schließlich hat der 31jährige Bauingenieurwesen studiert, in Kinshasa, bevor Zaires Präsident die Uni schließen ließ wegen der Proteste und Demonstrationen.

„Du weißt nie, was morgen kommt, ob du vielleicht zurück mußt. Und es geht um mein Leben“, sagt er. Deshalb will er auch seinen Namen nicht sagen. „Meine Freunde nennen mich Ado.“ Sein Asylantrag ist vor einem Jahr abgelehnt worden, und seitdem hängt sein Berufungsverfahren in der Luft. Er soll Beweise liefern für seine politische Verfolgung, doch alles, was er hat, sind zwei Zeitungsausschnitte. Sie berichten von den Vorgängen nach der Demonstration 1989, an der er teilgenommen hat. Er weiß von Verhaftungen, Hinrichtungen und den Leichen, die die Fischer am Tag danach aus dem Fluß gezogen haben. „Manchmal haben Studenten mit den Behörden zusammengearbeitet und ihnen Namen und Adressen verraten“, sagt er. „Dann kamen sie nachts, ohne anzuklopfen, ohne ein Wort zu sagen, und töteten.“ Freunde von ihm wurden zur Zwangsarbeit verurteilt, von anderen hat er kein Lebenszeichen mehr erhalten.

Ado hat Glück gehabt. Die Freunde, bei denen er untergetaucht war, konnten die Ausreise nach Polen organisieren, indem sie ihn auf die Teilnehmerliste zu einer Firmenweiterbildung für Marketing eintrugen. Von dort aus reiste er, nur mit seinem Paß und seinen Zeugnissen ausgestattet, weiter nach Berlin. Nicht mal ein Bild seiner Mutter, die als Witwe ihre elf Kinder mit dem Verkauf von Brot und Erdnüssen unterhielt, konnte er mitnehmen. „Ich dachte, die Deutschen seien großartig, mutig, korrekt, nett, arbeiteten ein bißchen viel und achteten die Menschenrechte.“ Er hat sich nach dem ersten, vom Sozialamt gewährten Sprachkurs zwei weitere von seiner Sozialhilfe abgespart, um mit den Menschen reden zu können. „Aber sobald ich sage, ich komme aus Afrika und suche Asyl, brechen alle Kontakte ab.“

Das verleidet ihm nicht nur den Discobesuch, den er sich leistet, wenn er einmal 20 Mark übrig hat, zweimal im Jahr etwa. Auch wenn seine Fußballmannschaft, die er im Juni mit anderen Afrikanern gegründet hat, über ein Tor jubelt, heißt es bei den Gegnern oft genug: „Hört auf, wie im Busch zu schreien, das hier ist Deutschland.“ Nach dem Spiel feiern sie entweder für sich oder setzen sich wie jeden Abend vor den Fernseher.

Als kleiner Junge wollte er Priester, Arzt, Bauingenieur oder Professor werden. Den Gedanken an das Priestertum gab er auf, weil er nicht allein leben will, den an die Medizin, weil er kein Blut sehen kann. „Das Bauingenieurstudium war mein Leben“, sagt er. Doch studieren darf er genausowenig wie arbeiten. „Ich war an den Unis hier, aber ich konnte es nicht aushalten, alle die Studenten zu sehen, die das tun, ohne das ich nicht sein kann.“ Sein Blick verdunkelt sich wieder. Er geht zwar noch regelmäßig in die Staatsbibliothek, aber nur, um täglich Zeitung lesen zu können.

Professor will er immer noch werden. „Ich habe nur ein Leben“, sagt er, „ich muß alles tun, um mein Ziel zu erreichen. Ich kann mich nicht aufgeben, solange ich nicht tot bin.“ Corinna Raupach