■ Short Stories From America
: Kein deutscher PATZER

Um diese Jahreszeit ist das Fußvolk Washingtons übel dran. Die hohen Herren im Kongreß vertagen sich, klettern in ihre Jets und fliegen über Halloween nach Hause, aber die Reinigungskolonnen müssen Sonderschichten schieben. Ich meine nicht die Hauswarte und Putzfrauen, obwohl auch deren Arbeit nie zu Ende geht. Ich meine die Formularausfüller, Dateneingeber, Beschwerdebearbeiter, Rechercheure, Memorandenschreiber – all die Leute, die den Laden am Laufen halten. Einige trifft es härter als andere. Wie ich höre, hat das Presse-Attaché Triage-Zentrum für entbehrliche Reportagen (PATZER) alle Hände voll zu tun. Zum Beispiel muß jede Menge Hasch zum Verschwinden gebracht werden.

Bei Dan Quayle: Um den Wehrdienst hat er sich herumgemogelt, ein emsiger Kiffer war er – irgendwie ein ganz normaler Bursche. Er hat richtig menschliche Züge. Deshalb muß PATZER all das aus der Welt schaffen.

PATZER sind der Schlüssel zum politischen Erfolg. Man muß sich mal vorstellen, welchen Ärger man sich ohne sie einhandeln kann. Die Deutschen zum Beispiel haben keine PATZER. Es stimmt ja, daß die Deutschen tolle Autos bauen. Nur von PR verstehen sie einen Dreck. Die Deutschen, das ist wie Beißen ohne Bellen oder wie Rindfleisch ohne Beilagen. Aber auf die PR kommt es an. Fragen Sie Quayle.

Seit der Wiedervereinigung haben die europäische und die US-Presse bei jeder Gelegenheit beängstigende Geschichten über Deutschlands neue Wirtschaftsmacht abgelassen. Gibt man sich in Deutschland wenigstens Mühe, den Schaden in Grenzen zu halten – zum Beispiel durch die Verbreitung von Fotos, auf denen Kinder älteren Touristen aus Israel über die Straße helfen? Kaum. Und wo sind die Wortbehandler, um Ausdrücken wie „Tüchtigkeit“ das negative Image zu nehmen? Wo waren die Imageschmiede, als die Angriffe auf Asylbewerber in Rostock durch die Presse gingen, als der Brand des jüdischen Mahnmals im Konzentrationslager Sachsenhausen und die Deportation von Roma die Ausschnittbüros zu Überstunden zwangen? Lassen wir mal das Wort „Tüchtigkeit“ beiseite – aber wo waren die Schadensbegrenzer für das Wort „Deportation“?

Gingen die Deutschen wenigstens zum Gegenangriff über, verwiesen sie vielleicht auf die Verfechter weißer Vorherrschaft, die in Idaho auf Bundesagenten schossen, während in Rostock mit Flaschen geworfen wurde? Ließen die Deutschen auch nur beiläufig fallen, daß die National Guard gerufen werden mußte, um lokale Radiostationen vor den Angriffen amerikanischer Nazis zu schützen? Das hatte allerdings auch nicht in vielen Zeitungen gestanden. Dafür wird PATZER schließlich bezahlt: die Neuigkeiten aus der Presse zu halten.

Aber konnten – während all dies die Nachrichten füllte – die deutschen Schadensbegrenzer wenigstens dafür sorgen, daß die V2-Gedenkfeier nicht durch die Weltpresse ging? Antwortete Deutschland mit einem Hinweis auf das britische Denkmal für Sir Arthur „Bomber“ Harris? In diesem Jahr wurde es errichtet und ehrt den Mann, der Dresden unter die Erde bombte. Hat Deutschland diesen Mann erwähnt? Nicht in der internationalen Presse. Diese Art Schluderei ist für die Jungs bei PATZER ein gefundenes Fressen.

Deutsche PR – das ist wie Kondome mit Löchern. Tüchtiges Deutschland? Der Meinung bin ich nicht. An einem Beispiel möchte ich den Umfang des Problems deutlich machen: Vor einigen Wochen berichtete die Presse, Ross Perot habe nicht nur einen Privatdetektiv angeheuert, um hinter seiner Tochter herzuspionieren, wenn sie sich mit einem gewissen jungen Professor traf; er gab dem Schnüffler auch den Auftrag, den Mann öffentlich zu diffamieren, damit die Beziehung ein Ende hatte. „Sie glauben doch nicht, daß ich meine Tochter einen Juden heiraten lasse“, soll Perot gegenüber Freunden gesagt haben. Die Geschichte löste ein paar Bemerkungen aus, wie: „Damit hat sich Perot für die Wahl qualifiziert ... in Deutschland“.

Ein doppelter PATZER. Aber natürlich haben weder Perot noch Deutschland PATZER. Kein Wunder, daß sie in der öffentlichen Meinung als „reich, autoritär und bedrohlich“ gelten. Bush hat PATZER, und wenn er einen neuen Rekord für Vetos im Kongreß aufstellt oder die Rezession auf die mangelnde Bereitschaft des Kongresses zurückführt, jeden seiner Wünsche zu erfüllen, dann bezeichnet ihn kein Reporter als „reich, autoritär und bedrohlich“. Das ist ein PATZER.

Zur Zeit arbeitet PATZER an einem neuen Problem. Nach seinen Widersprüchen in Sachen Steuern, dem Recht auf Abtreibung, den Waffenverkäufen an den Iran sagte Bush, er wolle bankrotten Städten die Industrieansiedlung erleichtern, und jetzt sagt er, er werde sein Veto dagegen einlegen. PATZER hat alle Hände voll zu tun, damit die Leute sich nicht fragen, warum niemand von Georges Lippen ablesen kann. Marcia Pally

Aus dem Amerikanischen

von Meino Büning