Selbst die Grenzen zu Kroatien sind dicht

■ Manche suchen sogar freiwillig Schutz in den großen Internierungslagern

Das Bild ging im August um die ganze Welt: ein junger Mann, abgemagert bis auf die Knochen, mit nacktem Oberkörper und eingefallenen Augen hinter einem Stacheldrahtzaun. In glühender Hitze unter freiem Himmel steht der Gefangene am Zaun mit anderen Gefangenen. Wer er ist, weshalb er und die anderen viertausend Lagerinsassen im Lager sind, erfuhr man nicht. Es waren die ersten Filmaufnahmen aus dem Lager Trnopolje unweit der nordbosnischen Stadt Prijedor.

Seitdem sind Monate vergangen. Das serbische Internierungslager gibt es immer noch. Ob Sudo Kuckovic, jener junge Mann, noch am Leben ist, ist ungewiß. Für seine Angehörigen in Zagreb waren die Filmaufnahmen jedenfalls das erste und letzte Lebenszeichen. Obwohl seitdem der UNO- Beauftragte Tadeusz Mazowiecki das Lager besichtigen konnte, das Internationale Rote Kreuz Zutritt bekam, haben die Greueltaten andernorts nicht aufgehört, sie finden lediglich in anderen Lagern statt.

Bert Schweizer, Leiter des Internationalen Roten Kreuzes in Banja Luka, der neuernannten „serbischen Hauptstadt“ für Bosnien, zieht Bilanz: „Die sogenannten ethnischen Säuberungen sind im großen und ganzen schon abgeschlossen. Wer noch frei ist, will weg. Es sind aber alle Grenzen zu Bosnien geschlossen, auch die kroatischen. Würden sie geöffnet, alle würden sofort weggehen.“ Die Serben hätten ihre Kriegsziele erreicht. „Es stellt sich die Frage, ob wir die Lebenden in Bosnien noch retten wollen oder nicht. Wir sind an einem Punkt, an dem man die Situation mit rein humanitärer Hilfe nicht mehr lösen kann.“

Spricht man in diesen Tagen mit Flüchtlingen und Vertriebenen, dann ist ganz Bosnien ein „großes KZ“. Trnopolje Normalität. So erklärt sich auch der Wahnsinn, daß sich nach Angaben internationaler Hilfsorganisation trotz all der Greuel täglich Vertriebene in Trnopolje einfinden. Hungernde, die aus ihren Verstecken aus den bosnischen Bergen kommen, weil sie im Lager größere Aussichten zum Überleben zu finden glauben. Auch bei anderen Internierungslagern wie in Omarska, Pale, Zvornik, Doboj, Manjaca klopfen die Verdammten in ihrer Verzweiflung an. Denn es hat sich in Bosnien herumgesprochen: In den mittlerweile weltweit bekannten Lagern habe sich die Situation „verbessert“, seien Folterungen und andere Grausamkeiten „nicht mehr die Regel“. Und außerdem klammern sie sich an die Hoffnung, daß manche bei den 10.000 dabei sind, die am 31. Oktober nach den Beschlüssen in Genf und London das Land verlassen können.

Ganz anders stellt sich das Bild in neuentstandenen Gefängnissen und Kerkern in weit abgelegenen Bergregionen dar. Wer dort aufgegriffen werde, der habe kaum eine Chance zu überleben. Für die serbischen Freischärler sind alle Bergverstecke „Stützpunkte von Volksmudschaheddin-Einheiten“. Selbst Frauen und Kinder, die dort vor dem Krieg Schutz suchen, werden pauschal als „fünfte Kolonne islamischer Fundamentalisten“ angesehen. Freischärlerführer Vojislav Seselj im Belgrader Parlament: „Diese Stützpunkte gilt es auszulöschen.“ Flüchtlinge berichten von Frauen und Kindern, die an Bäumen aufgehängt, von Männern, die von scharfen Hunden zu Tote gebissen worden sind. Dort, in abgelegenen Bergregionen, die noch kein Journalist seit Kriegsbeginn gesehen hat. Roland Hofwiler