Bosnien wird in Kantone aufgeteilt

■ Bei den Gesprächen in Genf kristallisiert sich eine politische Lösung heraus/ Der Staat soll in neun Kantone aufgeteilt werden/ Machtkampf in Belgrad/ Mazowiecki besucht Konzentrationslager

Budapest/Genf (taz) – Bei den Genfer Verhandlungen über Bosnien-Herzegowina scheint etwas in Bewegung gekommen zu sein. Nach dem Gesprächskarussell der letzten Tage zwischen dem kroatischen Präsidenten Tudjman, dem rest-jugoslawischen Präsidenten Čošić und dem bosnisch-herzegowinischen Präsidenten Izetbegović scheint sich eine Kompromißlinie herauszuschälen. Dergemäß könnte Bosnien-Herzegowina in 9 Kantone aufgeteilt, jedoch als Gesamtstaat bestehen bleiben. Die bosnisch-muslimanische Seite unter Izetbegović könnte sich mit dieser Regelung abfinden, wenn die Kantone nicht entlang ethnischer, sondern entlang geographischer und wirtschaftlicher Kriterien begründet würden. Allerdings, und darauf wies der Sprecher der Konferenz, Fred Eckert, gestern hin, ist eine Übereinkunft noch nicht getroffen. Denn welche Befugnisse eine Zentralregierung haben sollte, sei weiterhin heftig umstritten.

Schon am Dienstag hatten die Präsidenten Rest-Jugoslawiens und Kroatiens, Dobrica Čošić und Franjo Tudjman, in einer gemeinsamen Erklärung alle Konfliktparteien aufgefordert, die Feindseligkeiten zu beenden und eine verfassungsmäßige Lösung für die Probleme Bosnien-Herzegowinas zu finden.

Die beiden Präsidenten waren am 30. September erstmals in Genf zusammengekommen und hatten sich dabei auf einen Rückzug der serbischen Truppen von der kroatischen Halbinsel Prevlaka bei Dubrovnik geeinigt. Der letzte serbische Soldat verließ Prevlaka am Dienstag, über der Halbinsel weht jetzt die UNO-Flagge.

Čošić und Tudjman vereinbarten zusätzlich die Einrichtung von Verbindungsbüros in Belgrad und Zagreb, die sich unter anderem mit der Wiedereröffnung von Straßen und Eisenbahnlinien, der Wiederaufnahme der Telekommunikation zwischen den beiden Staaten und Fragen des persönlichen Eigentums befassen sollen. Čošić informierte der Erklärung zufolge seine Gesprächspartner darüber, daß seine Regierung „die nötigen Vorbereitungen“ für den sicheren Transport von humanitärer Hilfe von Belgrad nach Sarajevo getroffen habe.

Angesichts dieser serbo-kroatischen Übereinkünfte ist auf der muslimanischen Seite Unruhe festzustellen. An keiner Stelle, so die bosnischen Medien, werde das Volk der Muslimanen erwähnt oder in die Abmachungen mit eingeschlossen. Die Muslimanen fühlen sich zunehmend isloliert. In der Umgebung von Sarajevo kam es vielleicht auch deshalb zu Kämpfen zwischen Muslimanen und Kroaten, so daß die Versorgungslinien zwischen Split und Sarajevo erneut unterbrochen sind. Unterdessen behaupteten gestern regierungsnahe kroatische Medien, Ejup Ganić, der Vizepräsident Bosniens, habe die Macht in Sarajevo mit Hilfe des bosnischen Generalstabs übernommen. Die Putschisten stünden sogar auf Seite der Serben. Ganić konterte gestern über das bosnische Fernsehen: Die kroatischen Verleumdungen zeigten doch nur, welches falsche Spiel Tudjman treibe, er wolle die muslimanischen Politiker diskreditieren, das muslimanische Volk politisch spalten, um ungehindert mit der serbischen Seite die Aufteilung Bosniens voranzutreiben. Auch Izetbegović dementierte heftig die Putschgerüchte.

Ob es jedoch tatsächlich zu dieser intensiven kroatisch-serbischen Annäherung kommen wird, hängt nicht zuletzt vom Ausgang des Machtkampfes in Belgrad zwischen dem serbischen Präsidenten Slobodan Milošević und dem Premier und Präsidenten Rumpf-Jugoslawiens, Panić und Čošić, ab. Seit Sonntag halten schwerbewaffnete Polizeieinheiten der Republik Serbien das zentrale Gebäude der jugoslawischen Bundespolizei besetzt.

Auch für „balkanische“ Verhältnisse mehr als ungewöhnlich, daß sich Bundes- und Landesorgane auf militärischer Ebene gegenüberstehen. In dem Gebäude sind Akten gelagert, die Aufschluß über die Rolle serbischer Politiker im Krieg und vielleicht sogar in bezug auf die Massenmorde in Bosnien-Herzegowina und in Kroatien geben könnten. Die Aufregung in Belgrad ist daher groß. Manche Tageszeitungen und Oppositionsparteien sprechen bereits von einer „Generalübung zum Militärputsch“. Eine Legende wird dazu bereits in Umlauf gesetzt: Danach ist der amerikanische Emigrant serbischer Abstammung, Milan Panić, ein Agent des CIA, der in dessen Auftrag die Unverletzlichkeit der kroatischen Grenzen und staatliche Anerkennung Bosniens „gegen die Interessen Serbiens“ durchsetzen wolle. Jedenfalls ist der Machtkampf zwischen beiden mit solcher Deutlichkeit entbrannt, daß nur einer von beiden als Sieger hervorgehen wird, glaubt die kritische Tageszeitung Borba zu wissen. Die bange Frage nicht weniger Belgrader: Wie viele Divisionen stehen hinter Milošević, wie viele hinter Panić?

Der UNO-Sonderbeauftragte für Menschenrechte im einstigen Jugoslawien, Tadeusz Mazowiecki, ist über die Zustände erschüttert, die er in dem Flüchtlingslager Trnopolje, 40 Kilometer von Banja Luka entfernt in dem von Serben besetzten Teil Bosniens vorgefunden hat. In diesem Lager, das noch als Vorzeigelager gilt, leben etwa 3.500 verwundete Muslimanen unter absolut menschenunwürdigen Bedingungen.

„Dies ist schrecklich, was wir gesehen haben, schrecklich ... Man sagt, daß diese Menschen den Winter nicht überleben werden, doch ich bin überzeugt, daß sie den Herbst nicht überleben werden“, zitierte die Zeitung Mazowiecki nach einem Besuch des Lagers. Die Menschen hausten zum großen Teil in provisorischen Zelten aus Decken. Es fehlten Nahrungsmittel und Wasser. Die Brunnen seien verseucht, weil dort Leichen hineingeworfen worden seien. Mazowiecki will am Donnerstag nach Sarajevo fliegen. Hofwiler/Rathfelder