Nato besteht auf atomaren Erstschlag

■ Verteidigungsminister einigen sich auf neue Atomwaffenplanung/ Heftiger Streit um Jäger 90

Gleneagles (dpa/AP/taz) – Zwei Themen dominierten das Treffen der Nato- Verteidigungsminister in Schottland: die zukünftige Einsatzplanung der Atomwaffen der Allianz und der deutsch-britische Streit um die Zukunft des Jäger 90. In beiden Fragen setzte der bundesdeutsche Verteidigungsminister Volker Rühe für Nato-Verhältnisse bemerkenswerte Akzente. Völlig entgegen den sonstigen Gepflogenheiten des Gremiums gab Rühe noch vor Ende der Tagung gegenüber der Presse Erklärungen zur Atomwaffenplanung ab, die als streng geheim klassifiziert sind. Der Rühesche Überschwang resultiert aus der Tatsache, daß die Nato deutsches Gebiet erstmals nicht mehr als atomares Gefechtsfeld vorsieht, was bislang der Fall war, von der Nato aber nie bestätigt wurde. Obwohl Rühe nicht ausdrücklich bestätigte, daß die Nato auch nach veränderter Weltlage am Ersteinsatz ihrer Atomwaffen festhält, wurde er von allen Journalisten so interpretiert. Die dpa bezog sich sogar auf Nato-Generalsekretär Wörner mit der Meldung, die Nato halte im Prinzip am Ersteinsatz ihrer Atomwaffen fest. Auch nach der Bereinigung der Arsenale behält die Nato 700 flugzeuggestützte Atomwaffen in Europa. Ebenfalls vor der Presse kritisierte der amerikanische Verteidigungsminister Cheney einen Beschluß des US-Senats, Atomtests bis Ende 1996 einzustellen, als „unklug“.

Für mehr Wirbel als der Atomwaffeneinsatz sorgte allerdings der Streit um den noch gar nicht vorhandenen Jäger 90. Während Rühe den kostspieligen Flieger nicht mehr bauen lassen will, bestehen die Briten auf dem Gemeinschaftsprojekt, an dem auch Spanien und Italien beteiligt sind. Nachdem Rühe vom britischen Verteidigungsminister Rifkind Vorhaltungen wegen der deutschen Ausstiegsabsichten gemacht worden waren, ging der Newcomer in der Nato-Runde öffentlich in die Offensive. Mit Bemerkungen wie, die Straßen in Birmingham seien ja auch nicht gerade mit Gold und Silber gepflastert, und sein britischer Kollege möge doch mal sagen, wie er vor den streikenden Bergarbeitern die Kosten des Jäger 90 rechtfertigen wolle, sorgte Rühe für empörte Protestschreie. Abgeordnete beider Unterhausparteien nannten Rühes Bemerkungen „impertinent“ und eine Frechheit. Der Konservative Geoffrey Dickens empfahl Rühe, sich lieber auf die rechtsradikale Gefahr in Deutschland, die ganz Europa beunruhige, zu konzentrieren, und der Labour-Mann Bruce George meinte, Großbritannien könnte auf Rühes Ratschläge für den Aufbau der britischen Airforce gut verzichten. Der Liberale Menzies Campbell ging Rühe ganz rüde an und meinte, Rühes Karriereplanung, die auf die Nachfolge von Kanzler Kohl abziele, habe sein Urteilsvermögen hinsichtlich der unterschiedlichen Bedürfnisse in Europa offenbar getrübt. Rifkind sah sich durch die Reaktionen auf die Äußerungen eher gestärkt. Im Anschluß an die Pressekonferenz meinte er: „Die Schlacht geht weiter.“ Eine Entscheidung über den Jäger90 fällt kommenden Monat bei einem Treffen aller vier Vertragspartner. JG