Von Ausländerhaß, Volkszorn und Poesie

■ Täter zu Opferscharen: Eine Lesung in der Akademie der Künste (Ost)

„So kam ich unter die Deutschen“ – unter diesem Motto luden am Montag die beiden deutschen PEN-Zentren zu einer Lesung gegen Ausländerfeindlichkeit ein. Was dann aber im Plenarsaal der Akademie der Künste am Ostberliner Robert-Koch-Platz stattfand, erinnerte streckenweise an ein anderes Hölderlin-Wort: „Denker sah ich, aber keine Menschen.“

So ging es in Stephan Hermlins hölzerner Begrüßungsrede auch weniger um Ausländer als um das Schicksal dieses Akademie-Gebäudes. Im Zuge der Akademie- Vereinigung stehen Umzüge bevor, nur klang es bei Hermlin so, als stünde hier wieder ein Asylantenheim kurz vor dem Brandanschlag. Zum Schluß wurde dann noch einmal das teutsche Ideal der „Kameradschaft unter den Schriftstellern“ beschworen, ehe man zu den eigentlichen Lesungen kam. Eine in Berlin lebende Rumänin las aus einem Essay, Rajko Djuric, vom Milošević-Regime vertriebener Generalsekretär des Romani P.E.N.-Club, berichtete über seine Arbeit und las Gedichte.

Der sanfte Nachdruck, mit dem hier über eigene Biographien gesprochen wurde, verschwand sofort, als die unvermeidliche Margarete Hansmann mit schneidender BDM-Stimme garantiert Antifaschistisches zum Vortrag brachte. „Kein Gedicht“ nannte sie die Texte vorsorglich. Aber auch dadurch wurden sie nicht besser: Gleichsetzung des Fremdarbeiters 1943 mit dem Fremdarbeiter 1973, inflationäre Verwendung des Wortes Auschwitz, garniert mit Celan- Zitaten und von André Schwarz- Bart Abgekupfertem — fertig ist der moralische Herrenmensch.

Wer wirklich Opfer war, scheut solche Attitüde, und Edgar Hilsenraths makabrer Text über eine Zigeunergeige entlarvte in all seiner beherrschten Wut, die hohle Rhetorik des Vorangegangenen. Nicht von hoher Warte herab auch Brigitte Strutzyks Brief an eine Roma- Künstlerin in Österreich, in dem sie von Weimar erzählt, von jungen, lauten ungarischen Gastarbeitern und dem verkniffenen Lauern deutsch-demokratischer Genossen hinter ihren Gardinen. Als das Wort vom „ideologisch verbrämten Rassismus der DDR“ fiel, gab es ein kurzes Raunen im Saal.

Davon, wie man ohne Verkrampfung mit Fremden umgeht, berichtete Sten Nadolnys Auszug aus „Selim oder Die Gabe der Rede“, nur schien die humane Ironie des Texts nicht ganz dem im übrigen getragenen Ton der Veranstaltung zu entsprechen. Daß aber diese unverkrampfte Haltung kein Privileg des Westens sein muß, zeigten die bitterbösen Sprachspielereien der Ostberliner Lyrikerin Elke Erb, mit das Beste an diesem Abend. Rainer Gilsenbachs Erinnerung an den August 1968, als er versuchte, Biermann (will heißen: den Judenjungen Biermann) bei einer Sinti-Familie zu verstecken, wurde eher ratlos aufgenommen: Um Himmels Willen, schon wieder dieser Biermann.

Den Nerv der Veranstaltung aber traf Volker Braun mit einem Text, der unbedingt ins Lesebuch der Infamie gehört: „Die Leute von Hoywoy“. Dort, im Braunkohletagebau, hat einstens der junge Dichter geschuftet, darüber schon einmal einen Text gleichen Titels veröffentlicht, um sich jetzt zu fragen, weshalb die lieben Hoyerswerdaer nunmehr ganz anderen Werten nachlaufen als Sozialismus, Frieden und Aufbau der Volkswirtschaft. Na logo: Weil ebendiese zerstört wurden. Und dann kommt's: „Sie erwidern Gewalt, die sie erfuhren, an noch Schwächeren.“ Und ganz barbarisch raunt dieser freundliche, kleine Mann von „namenlosen Naturkräften, die ihr Leben außer Kraft gesetzt hatten“, „Fremde im eigenen Land“: „Ich gehöre noch zu ihnen.“ Eben. Täter werden zu Opfern, Ausländerhatz wird zum berechtigten Volkszorn gegenüber Treuhand, Westen und Helmut Kohl. Da klatscht die Akademie, denn es soll so sein.

Und wenn man danach zu einem Gläschen Wein aus Plastikbechern (schon aus ästhetischen Gründen gehört diese Akademie abgewickelt) in das spießige Ambiente eines Raums im obersten Stock eingeladen wird, darf man nicht erwarten, eine Diskussion zu entfachen. Sie sitzen auf ihren schmuddeligen Plüschsofas und bekommen vom Weintrinken und vor Erstaunen große Augen, wenn man sie auf das Ungeheure hinweist. „Ach, so sehen Sie das? Na ja, Sie kennen eben die Verhältnisse bei uns nicht, aber vielleicht haben Sie recht.“ Immerhin. Und dann erzählen sie, daß sie nächstes Semester in die USA fliegen werden oder schon dort waren, daß sie die Situation der Indianer kennenlernten und durchaus Parallelen feststellten zu dem, „was gerade mit uns in Ostdeutschland geschieht“. Und seltsamerweise denkt man plötzlich an ein indianisches Kriegsbeil, das man jetzt sehr gern hier hätte: So kam ich unter die Akademie. Marko Martin