Zeitsprünge

■ In Tirana, Samstag, 20.40 Uhr, arte

Als die italienischen Faschisten 1939 Albanien besetzten, floh Jusuf Begeja über London nach Paris. Seine Hoffnung, bald wieder in seine Heimat zurückkehren zu können, erfüllte sich nicht. Erst 1990, nach dem Ende des Enver Hodscha-Regimes, erhielt Jusuf – nach rund 50 Jahren im französischen Exil – die Möglichkeit, Tirana zu besuchen. Seine Tochter, die Filmemacherin Liria Begeja, hat ihn auf dieser Reise begleitet. Ihre Dokumentation folgt den vergeblichen Versuchen des inzwischen 80jährigen, sich im heutigen Albanien zu orientieren. Seine Suche nach jenem Haus, in dem er einst geheiratet hatte, oder der Moschee, deren Tore die Kommunisten jahrzehntelang geschlossen hielten.

Doch im Vordergrund steht Jusufs Wiedersehen mit seiner Familie. Ein Zusammentreffen, über dem der Schatten des ungeklärten Todes seines Vaters liegt. Dieser war 1942 als Oppositioneller von Hodschas Polizei verhaftet worden und im Gefängnis gestorben. In quälenden Gesprächen am Küchentisch bestätigen Jusufs Brüder, „verdiente“ Funktionäre des Regimes, immer wieder die offizielle Version vom Selbstmord des Vaters. Doch als Jusuf das Grab der Eltern aufsucht – eine der bewegendsten Szenen des Films –, erfährt er, daß dort lange Zeit lediglich ein Grabstein für seine Mutter gestanden hat. Der Name des Vaters, dessen Leiche verschwunden blieb, wurde erst kurz vor seiner Ankunft auf Veranlassung seiner Brüder hinzugefügt.

Eine eindringliche Dokumentation, die nicht nur an einem Familienschicksal ein Stück Geschichte lebendig werden läßt, sondern zugleich einen Blick auf die albanische Gegenwart eröffnet. Ein Leben zwischen propagandistischen Monumentalbauten, Plattenbau- Tristesse und ersten Einflüssen des Westens: In der Bäckerei dudelt BoneyM aus dem Radio, und auf einer Hochzeit intoniert eine Combo inbrünstig „Let it be“. Ein – vordergründig – unspektakulärer Film, der seinem Publikum ein kaum noch gewohntes Maß an Geduld abverlangt, bis er es in seinen Bann zieht. Aber zweifellos auch eine jener Produktionen (realisiert von La Sept), wegen der man für das Retortenbaby namens arte etwas williger Alimente zahlt. Reinhard Lüke