Wasserkraftwerk löst nationalistische Wellen aus

■ Spannungen zwischen Ungarn und der Slowakei wegen Gabcikovo verschärft

Lastkraftwagen fahren pausenlos über den Donaudamm. Polizisten riegeln das Gelände weiträumig ab. Tonnenweise werden Gestein und Erde in die Donau geschüttet. Hunderte Planierraupen, Baufahrzeuge, berittene Polizei und Hubschrauber sorgen für „reibungslose Bauarbeiten“, um die Donau in den Kanal des Wasserkraftwerkes von Gabcikovo umzuleiten. Die Aufregung ist groß. Denn niemand hatte damit gerechnet, daß die slowakischen Politiker wirklich Ernst machen und die Donau, trotz aller Proteste, in das neue, 30 km lange Flußbett umleiten würden. Noch versucht Ungarn eine europäische Vermittlung im Konflikt zu erreichen. Die KSZE wurde angerufen. Der Internationale Gerichtshof sollte eingeschaltet werden. Indem die Slowakei Fakten schafft, „wird internationales Recht gebrochen“, erklärte Außenminister Janos Martonyi.

Das Kraftwerk wurde in den 70er Jahren von der ungarischen und tschechoslowakischen Regierung gemeinsam geplant. Während aber die Ungarn aus ökologischen Gründen jetzt für einen Abriß plädieren, argumentieren die Slowaken, die Bauarbeiten seien zu weit vorangeschritten. Die Inbetriebnahme komme billiger als ein Abriß.

Mitten in einer Mondlandschaft, in der kein Baum und kein Gras mehr wächst, Dutzende kilometerlange Betonmauern bis zu zwanzig Meter hoch aus der Erde ragen, verteidigte der Direktor des Bauprojekts, der Slowake Julius Binder, das Projekt. Fragen über die Grenzverletzung – die Donau ist ja die Grenze zwischen beiden Ländern und nicht der Kanal – wehrte er ab. „Die ungarische Regierung ist nicht an einem guten Einvernehmen mit unserem Land interessiert – nicht wir, sondern Budapest provoziert.“

Gerade das wollen die Ungarn nicht so sehen. Premier Joszef Antall: „Die geplante Umleitung der Donau kommt einer Verletzung der territorialen Integrität Ungarns gleich, auf die man mit allen Mitteln reagieren wird.“ Eine Bratislavaer Zeitung spekulierte dazu: „Wenn dieses Donaubett in Bälde austrocknen wird, werden die Ungarn mit ihren Panzereinheiten unsere Slowakei überfallen.“ Und die Prager Mlada Fronta Dnes warnt „vor einem internationalen Unglück“ und „Schüssen an der Donau“.

Tag und Nacht bewachen paramilitärisch ausgerüstete slowakische Polizisten das über sechzig Quadratkilometer große „Baugelände“. Ein kleines Häufchen von Umweltaktivisten aus allen Anrainerstaaten der Donau haben schon seit Tagen mehrere Camps unweit der Großbaustelle aufgeschlagen. Sie protestieren friedlich, die slowakische Regierung läßt sie noch gewähren. „Die Donau zu retten, das war immer unser Anliegen“, erklärt Janos Vargha, ungarisches Gründungsmitglied des 1984 entstandenen „Donaukreises“. „Hörten damals die Kommunisten nicht auf unsere Argumente, so instrumentalisieren heute Nationalisten das Problem von Gabcikovo.“ In der Gegend um Gabcikovo lebt auf slowakischem Territorium eine ungarische Minderheit in geschlossenen Siedlungsgebieten, eine Minderheit, deren Rechte slowakische Nationalisten in den letzten Monaten immer stärker beschneiden. Radikale ungarische Nationalisten kündigten ihrerseits am Wochenende, dem ungarischen Nationalfeiertag zum Gedenken der Revolution von 1956, vor dem Budapester Parlament an, „einen neuen ungarischen Lebensraum“ schaffen zu wollen. Fanatische Anhänger des rechtsextremen Vizevorsitzenden der ungarischen Regierungspartei „Ungarisches Demokratischen Forum“, Istvan Csurka, wollen zum „Schutz der ungarischen Minderheit“ nach Gabcikovo ziehen und für den „neuen ungarischen Weg“ demonstrieren. Der „neue ungarische Weg“ bedeutet nicht mehr und nicht weniger als die Revision der bestehenden Grenzen. Roland Hofwiler