Des Engels General Von Mathias Bröckers

„Soldaten sind potentielle Mörder“ – der heißumstrittene Satz, der vor einiger Zeit die Gemüter erhitzte und Gerichte beschäftigte, hat mit dem Tod von Petra Kelly und Gert Bastian eine schreckliche Bestätigung erfahren. So ungeklärt die Umstände dieses Todes im Detail sein mögen: ohne einen Soldaten und seine Waffe im Haus wäre Petra Kelly heute wahrscheinlich noch am Leben. Das mag hart klingen gegenüber dem Ex-General Gert Bastian – und doch hat er sich auch als Friedenskämpfer von seiner ehemaligen Profession nicht weit genug entfernt, als daß er auf das Ex-und-hopp-Werkzeug des Todes, seinen Revolver, hätte verzichten können. Dieser Mangel an innerer Sicherheit, der durch die äußere Hochrüstung mit einer Erstschlagwaffe vom Kaliber 38 kompensiert werden mußte, hat den General das Leben gekostet – und seinen Engel hat er mitgenommen in den Tod. So wie ein gescheiterter Vater zuerst sein Kind und dann sich selbst richtet – nicht aus Haß, sondern aus Liebe, um ihm Hilflosigkeit und Leid in einer katastrophalen Welt zu ersparen. Sicher: Auch ohne die Stationierung einer persönlichen Pershing im Hause Kelly/Bastian hätte eine solche Tat ausgeführt werden können – und doch deutet vieles, bis hin zu dem noch in die Schreibmaschine eingespannten, belanglosen Geschäftsbrief, darauf hin, daß der Entschluß dazu spontan fiel. Vielleicht in einem depressiven Schub, einer Art mentalem Fehlalarm, der dem vom glühenden Nazi über den begeisterten Soldaten zum überzeugten Friedensaktivisten gereiften Bastian die totale Sinnlosigkeit des Lebens derart authentisch vorspiegelte, daß er sie für den Ernstfall hielt und auf den fatalen Knopf drückte.

Der geläuterte General, der am Ende trotz allem den Engel der Friedensbewegung erschießt – dieses deutsche Drama ist mehr als nur symbolisch, es ist paradox. In seinen Widersprüchen offenbart sich die tiefe Wahrheit, daß außen nur passiert, was innen angelegt ist: An einer Friedensbewegung, deren Helden bewaffnet sind, kann etwas nicht stimmen, ein Abrüstungsaktivist, der Pershings und Atomwaffen brandmarkt, ohne gleichzeitig die Verschrottung von Damenrevolvern zu fordern, muß zwangsläufig scheitern. Nicht die Neutronenbombe, die Knarre im Nachttisch ist die „Perversion des Geistes“. Die Bombe ist nur ihre Konsequenz, ein Symptom und nicht die Ursache der Krankheit. Ohne das Ende der personalen Paranoia ist ein Ende des globalen Rüstungswahns nicht zu haben. Ebensowenig, wie frau „Tibet retten“ kann, ohne die persönliche Lehre Tibets verstanden zu haben: daß heilsame Veränderungen außen nur durch innere Verwandlung zu erreichen sind. Eine Herausforderung, die sich mit dem rastlosen Ringen der Petra Kelly um Einfluß und Öffentlichkeit nicht vereinbaren ließ – sie hat dem Dalai Lama und seinem Volk zugehört und sich dafür eingesetzt, aber sie hat nichts von ihm gelernt.

Wenn zwei Galionsfiguren einer politischen Bewegung auf so lehrreiche Weise scheitern, sollte das allen Überlebenden zu denken geben – nicht nur bei den Grünen. Nur: Bitte keine Trauerarbeit! Bei aller Tragik des Geschehens gilt es, die Komödie darin zu entdecken.