■ Zur Abwechslung mal Ehrlichkeit: Spätestens ab 1995, so Helmut Kohl, sollen die Steuern erhöht werden
: Die Union, die Lüge und der Steuerzwang

Nach der Steuerlüge des vergangenen Bundestagswahlkampfs versuchen es Kanzler und Christdemokraten nun zur Abwechslung mit der Ehrlichkeit. Am Vorabend des CDU-Parteitags jedenfalls haben die Führungsgremien der Partei einhellig die Initiative von Helmut Kohl gebilligt, ab 1995 weitere Steuern zu erhöhen. Die BürgerInnen, so das Kalkül der vorauseilenden Ankündigung, sollen diesmal scheibchenweise auf die neuen Grausamkeiten aus dem Bonner Kassenkabinett vorbereitet werden.

Daß der Staat angesichts leerer Kassen und des 150Milliarden Mark schweren Finanztransfers in die neuen Bundesländer wohl keine andere Wahl haben dürfte, ist kaum zu bestreiten. Völlig unverständlich ist aber, daß wieder nur die halbe Wahrheit auf den Tisch kommt. Ebenso wie der von Helmut Kohl angekündigte Sozialpakt fehlen den geplanten Steuererhöhungen jegliche Konturen. Auch der Zeitpunkt ist aus der Luft gegriffen: Alles spricht dafür, daß die Steuermilliarden schon vor 1995 einkassiert werden. Auch einen Kassensturz, wie ihn die SPD seit Monaten verlangt, um realistische Vorgaben zu haben, scheint der Kanzler nicht zu brauchen. Also geht der Zickzackkurs weiter, und bei der Frage, wer die neuen Abgaben zu tragen hat, wird Reise nach Jerusalem gespielt.

Die neue Steuerdebatte belegt, wie konzeptionslos in Bonn heute Wirtschafts- und Finanzpolitik betrieben wird. Jeder hat etwas zu bieten: Der Kanzler will mit Wunderplänen den Aufschwung Ost herbeizaubern und dazu die Gewerkschaften und Arbeitgeber ins Boot holen, sein Kassier Theo Waigel lieber knausern und sparen, der Arbeitnehmerflügel der Union derweil die Besserverdienenden schröpfen. Die wirtschaftsliberalen Marktschreier, unterstützt von Unternehmern und dem CDU-Wirtschaftsrat, wollen von Steuererhöhungen erst gar nichts hören und statt dessen mit neuen Kapitalanreizen die Rezession verscheuchen.

Was diese Regierung vor sich hindenkt, ist alles andere, nur nicht durchdacht: Der Staat geht beim Schuldenmachen in die Vollen — wenn der Pump nicht reicht, werden eben die Steuern erhöht, auch wenn man das zuvor immer und immer wieder ausgeschlossen hat. Der Schuldenberg aller öffentlichen Hände wird in diesem Jahr auf 1,6 Billionen Mark anwachsen; die Wirtschaft steckt in einer Rezession, und die Konjunktur ist unter der Hochzinspolitik der Bundesbank, die die Regierung zur Finanzierung der Wiedervereinigungskosten über Steuern zwingen wollte, vollends zusammengebrochen. Selten hat eine Politik, die es sich zur Augabe gemacht hat, für einen Aufschwung zu sorgen, ihr Ziel so verfehlt.

Helmut Kohl mag ja mit seinem Vorstoß in erster Linie den CDU-Parteitag im Blick gehabt haben. Vielleicht hat er aber auch unter dem Druck seiner Parteifreunde von der CDU und um Biedenkopf gemerkt, daß sich mit einer Angebotspolitik, die auf Investitionsanreize, Steuergeschenke und stabile Preise abzielt, die Probleme nicht bewältigen lassen. Ronald Reagan und Margaret Thatcher lassen grüßen. Erwin Single