An der ganzen Sache, sagt Salman Rushdie, sei etwas zutiefst Komisches – „außer daß sie tödlich ist. Da gibt es Leute, die nie ein Buch lesen würden, aber jeman- den umbringen wollen, der eines schreibt.“ Mit dem Schriftsteller sprach über sein Leben im Untergrund, über Literatur und Komik Thierry Chervel

„Der sicherste Ort ist das Licht“

Salman Rushdie, im letzten Text, den ich von Ihnen gelesen habe, der kleinen Broschüre über den Film „The Wizard of Oz“, bestehen Sie mit der Heldin Dorothy darauf, daß Oz ein wirklicher Ort ist, kein Traum. Oz muß für Sie heute wirklicher sein als die Wirklichkeit.

Salman Rushdie: Fantasie als Heimat, ja, das stimmt vielleicht. Einer der schwierigsten Aspekte meiner jetzigen Lage ist ja, daß ich nicht zurück nach Indien gehen kann, wo ich aufgewachsen bin. Indien ist nun also auch eine Art Fantasie-Heimat für mich geworden. Da ich nicht zurückgehen kann, muß ich es mit mir herumtragen. Das ist natürlich keine ungewöhnliche Situation, die ganze Geschichte des literarischen Exils besteht daraus. Darum verstehe ich Oz nicht einfach als Metapher, sondern als etwas Konkretes.

Hat sich durch Ihre jetzige Situation Ihr Verhältnis zum Schreiben verändert?

Leser könnten darauf vielleicht leichter antworten als ich selbst. Aber natürlich hat die Situation einen Einfluß, natürlich ist mein letzter Roman „Haroun and the Sea of Stories“ zu einem gewissen Grad aus den Konflikten hervorgegangen, in denen ich mich damals befand, auch wenn ich die ursprüngliche Idee zum Buch vor der Fatwa hatte. Es mußte eine sehr einfache, reine Geschichte sein, und ein glückliches Buch. Das war wirklich ein Effekt der Situation. Ich wollte gegen mein Unglück anschreiben. Das Buch sollte so hell wie möglich sein, gerade weil die Leute etwas Dunkles von mir erwarteten, ein Buch über Liebe, als mir selbst nur Haß entgegenschlug. Darauf war ich sehr stolz, es war eine Art Sieg. Zur Zeit stecke ich gerade mitten in einem neuen Roman, der kaum vor Ende nächsten Jahres fertig werden dürfte. Der wird länger, vier-, fünfhundert Seiten.

Wird er auch so komisch wie die „Satanischen Verse“?

Das hoffe ich. Nach all den Ereignissen redet ja keiner mehr darüber, daß die „Satanischen Verse“ ein komischer Roman sind. Das sollten sie aber sein. Ich selbst kann keine Bücher lesen, die keinen Sinn für Humor haben, egal wie bedeutend sie sind. Wenn ein Buch nur feierlich ist, wie Goethe zum Beispiel, dann kann ich es nicht lesen. Tut mir leid — den „Faust“ nehme ich allerdings aus. Ich meine damit nicht, daß ein Buch nur aus Witzen und Farcen bestehen sollte. Aber es muß eine Art komisches Vorgehen geben, das auch sehr finster sein kann. Darum bewundere ich Kafka. Die Leute sehen Kafka immer als Melancholiker und Depressiven. Aber wenn man sich dann das Schloß anguckt: jede einzelne Szene ist eine Komödienszene, alles ist Farce, erst in der Zusammensetzung gibt es diese außerordentliche Wirkung, die mit Komödie nichts mehr zu tun hat. Kafkas Genie ist, daß er diese Stimmung, die man kafkaesk nennt, ausschließlich durch komische Techniken erzeugt.

Über Ihren „Fall“, so haben Sie in Interviews gesagt, würden Sie nicht in fiktiver, sondern in dokumentarischer Form schreiben. Gäbe es da auch Komik?

Allerdings. Da gab es manchmal eine unglaubliche surrealistische, schwarze Komik. Ich kann mich erinnern, wie ich in Indien im Stau steckte, als Tausende von Gläubigen aus den Moscheen kamen, wo gerade gegen mich gepredigt worden war. Ich habe mein Gesicht hinter einer Zeitung versteckt. Lächerlich. An der ganzen Sache ist etwas zutiefst Komisches — außer, daß sie tödlich ist. Da sind Leute, die nie ein Buch lesen würden und jemanden umbringen wollen, der eines schreibt. Leute, die keine Ahnung haben, was in anderen Leuten vorgeht, und die lächerlichsten Urteile über sie abgeben. Da könnte man sehr leicht eine Komödie draus machen.

Einer der Gründe, warum ich keine Fiktion über dieses Ereignis schreiben würde, ist, daß es tatsächlich passiert. Wenn man mir das vor vier, fünf Jahren vorausgesagt hätte, hätte ich gelacht. In diesem Teil der Welt kann das nicht mehr passieren, hätte ich gesagt. Das war vor zweihundert Jahren. Und es hat sich herausgestellt: es kann passieren, wir sind in Gefahr. Das ist doch interessant. Ein anderer Grund ist, daß so viele Dinge passiert sind, die ich noch gar nicht erzählen könnte, weil sie aus Sicherheitsgründen geheim sind. Ich würde diese Geschichte wirklich gerne erzählen, einfach auch weil ich weiß, daß es eine sehr gute Geschichte ist, und wenn man weiß, daß die Leute die Geschichte hören wollen, möchte man sie auch erzählen. Viele Leute kommen darin vor. Ich würde gerne erzählen, wie sie sich verhielten. Allein wie das Buch in den verschiedenen Ländern veröffentlicht wurde oder eben nicht. Da gab es viel Mut. Und viel Feigheit.

Viel gäbe es auch darüber zu erzählen, wie in einem relativ kleinen Land, ein Leben im Untergrund zu organisieren ist.

Ja, wie?

Nun, da müssen Sie noch ein bißchen warten. Aber ein Beispiel: In einem großen Land wie den USA oder sogar Deutschland wäre das viel leichter zu organisieren. England ist ein sehr kleines, dichtbevölkerters Land.

Na, und Schottland oder so?

Nein – nicht daß ich nicht in Schottland gewesen wäre –, aber das Problem liegt anders: Wenn Sie in einer Stadt sind, sind da eben auch viele Leute, die Ihnen auf die Spur kommen könnten. Wenn Sie aber auf dem Land sind, gibt es Nachbarn. Und die sind neugierig. Ist ja auch klar. Sie möchten wissen, wer in welchem Haus lebt. Das sind ziemlich komplizierte Probleme, und manchmal haben wir auch ziemlich innovative Techniken gefunden, um sie zu lösen.

So schreiben Sie nebenbei Geheimdienstgeschichte?

Ich bin ja nicht der erste, dem das passiert — denken Sie an Mafia-Kronzeugen in Amerika. Dumm ist nur, daß mein Gesicht so bekannt ist.

Und doch können Sie einfach in einem Restaurant in Bonn essen gehen, ohne daß Sie jemand bemerkt.

Ich habe entdeckt, daß die Leute auch einfach höflich sind. Sie starren einen nicht an, auch wenn sie mich erkennen. Ich habe ja auch keine Probleme mit den Leuten hier. Das Problem sind die Contract Killer. Deshalb muß ich kämpfen, auch wenn es mir auf die Nerven geht. Ich fühle mich bald wie ein Politiker.

Weil es immer dasselbe ist.

Ja, und weil man ständig die Dinge vereinfachen muß. Als Schriftsteller möchte man die Komplexität des Lebens darstellen, und in der Politik muß man genau das Gegenteil tun. Aber die Reisen haben nur zum Teil mit Politik zu tun, zum Teil sind sie auch eine symbolische Angelegenheit. Sonst könnte sich die andere Seite als Sieger fühlen: „Wenigstens haben wir es geschafft, ihn auf Lebenszeit einzusperren.“ Diesen kleinen Triumph sollen sie nicht haben.

Wie ist denn Ihre Beziehung zu Ihren Bodyguards?

Eins kann man sagen: Es gibt nicht viele linke Schriftsteller, die soviel mit dem Geheimdienst zu tun hatten. Auf der menschlichen Ebene geht's gut. Es ist nur eine seltsame Situation. Ich lebe ja nicht aus freier Entscheidung mit diesen Leuten zusammen. Der Kampf bestand vom ersten Tag auch darin, die Gitterstäbe des Käfigs auseinanderzupressen. Vom Sicherheitsstandpunkt wäre es natürlich das einfachste, mich einzuschließen. So will ich nicht leben. Also versuche ich mir, immer ein bißchen mehr Freiheit zurückzuerobern.

Waren Sie schon inkognito unterwegs?

Wie gestern abend zum Beispiel im Restaurant. Die Leute haben nur ein Kurzzeitgedächtnis für Gesichter. Und wenn Sie jemand sehr Bekanntes entdecken, denken Sie sehr oft, das kann er gar nicht sein. Nur wenn man gerade im Fernsehen war, erkennen einen die Leute wirklich wieder.

In Deutschland könnte es Ihnen im Moment passieren, daß Sie inkognito auf der Straße herumlaufen und angegriffen werden, ganz ohne daß man Sie wiedererkannt hat, einfach weil man in Ihnen den Ausländer erkennt. Verfolgen Sie die Ereignisse in Deutschland.

Ich habe davon gehört. Es ist fürchterlich. Auch in Großbritannien gibt es Anzeichen für zunehmenden Rassismus. In den siebziger Jahren habe ich da sehr viel gekämpft. Es war eine schlimme Zeit. Dann schien es eine Verbesserung zu geben, und nun geht es wieder los. Das scheint überall zu passieren. Gerade in Deutschland sollte die Geschichte lehren, wie gefährlich das ist.

Wie würden Sie reagieren, wenn Sie nicht ein britisch-indischer, sondern ein deutsch-türkischer Schriftsteller wären?

Ich würde mich in klaren Worten äußern, wie ich es auch in England getan habe. Darum waren mir die Konservativen ziemlich feindlich gesinnt, ich hatte sehr viel über dieses Thema geschrieben. Das wird nicht als höflich angesehen. Eine der Lektionen, die ich in den letzten drei Jahren gelernt habe, ist, daß Schweigen immer falsch ist. Die Leute sagen: Verhalte dich ruhig, dann wird's schon besser. Sie sagen es zu mir, sie sagen es zur schwarzen oder anderen Minderheiten. Mach nicht so einen Tumult, sonst wird es nur noch schlimmer für dich. Diese Haltung ist immer falsch. Zu schweigen heißt, den Leuten, die die Macht sowieso schon haben, noch mehr Macht zu geben. Schweigen ist das Gefährlichste. Es ist überhaupt nicht gefährlich, hierher zu kommen und Verabredungen zu treffen — wie die Leute denken. Es ist sogar der sicherste Platz. Denn der sicherste Ort ist das Licht, der gefährlichste der Schatten.

Die Politiker in Deutschland tun so, als wären die Ausländer das Problem und nicht die Ausschreitungen gegen sie.

In England ist es genauso, Leute, die anders sind, werden zum Problem erklärt.

Man hat den Eindruck, daß keine wirkliche Menschenrechtspolitik geführt wird. Sehen Sie da Parallelen zu Ihrem Fall?

Eines der Probleme des triumphierenden Kapitalismus ist, daß Geld und Geschäfte sogar noch machtvoller erscheinen als früher. Es scheint keinen anderen Diskurs mehr zu geben als den des Geldes. Menschenrechte scheinen für die Sonntagsreden da zu sein. Ein Grund für die starke Ablehnung von Maastricht scheint mir aber zu sein, daß die Leute ein starkes Unbehagen gegen ein reines Europa des Geschäfts haben. Die Leute sind gar nicht antieuropäisch. Wie Enzensberger in seinem Europa- Buch sagte: die Leute sind für Europa, aber nicht für dieses rein geschäftsmäßige. Wenn Europa eine Identität hat, dann ist das eine kulturelle und eine der Werte. Wenn diese Werte nicht an die Spitze des zu Verwirklichenden gesetzt werden, sondern ganz nach unten, werden die Leute Europa niemals wollen.

Glauben Sie, die Politiker haben das begriffen? Wie ist Ihr Eindruck nach Ihren Reisen durch Dänemark, Spanien, Norwegen, Finnland und jetzt Deutschland?

Ich bin freundlicher aufgenommen worden, als ich erwartet hatte — schließlich habe ich ein Problem, und mit Problemen wird niemand gern behelligt. Die Tatsache, daß ich herumreise und mit den Politikern rede, hat einen Einfluß auf die Politik, sogar auf Regierungspolitik.

Haben Sie in Bonn Regierungsvertreter getroffen?

Die Treffen sind noch nicht vorüber. Am Montag habe ich vor allem SPD-Politiker getroffen, Björn Engholm, Thea Bock, Norbert Gansel, und sie waren sehr solidarisch. Engholm will Einfluß auf andere sozialistische Parteien in Europa nehmen und das Thema zurück in den Bundestag bringen. Natürlich gibt es das große Problem, daß Deutschland sehr enge Wirtschaftsbeziehungen zum Iran hat, und die wird es wohl kaum abbrechen. Man kann das aber auch andersherum sehen. Die deutsche Regierung sagt immer, daß man in Kontakt stehen muß, um Einfluß nehmen zu können. Gut, dann sage ich: Jetzt haben Sie diese Kontakte und diesen Einfluß, dann nutzen sie sie auch. Deutschland ist für den Iran viel wichtiger als der Iran für Deutschland. Die Deutschen sollten also ihren Einfluß geltend machen und sagen, hier ist ein wichtiges Thema, das uns am Herzen liegt und das euch interessieren sollte, wenn ihr gute Beziehungen zu uns wollt.

Was sagen Sie zum Kulturboykott gegen den Iran. Da gibt es ja Leute die genauso argumentieren: Man sollte die Kontakte nutzen.

Die Frage ist nur: Kontakte mit wem? Die Schriftsteller, die man treffen würde, wären nur Kader der Mullahs. Andererseits gibt es Dutzende iranischer Schriftsteller, die extrem unterdrückt werden. Die würde man nicht treffen, die würden keine Pässe kriegen, um zur Frankfurter Buchmesse zu kommen.

Als wir hier in der taz die „Briefe an Rushdie“-Kampagne gemacht haben, habe ich mit viel mehr Schriftstellern gesprochen, als hinterher geschrieben haben. Die meisten haben gesagt, daß es zu Ihrem Fall nichts mehr zu sagen gebe.

Sie haben ihre Positionen halt schon bezogen und nichts mehr hinzuzufügen. Aber der Punkt ist: Das Problem ist nicht aus der Welt. Und der Feind weiß, daß er seine besten Chancen hat, wenn das Vergessen einsetzt. Dann kann er aufstehen und mich erschießen. Es wäre eine Schande, wenn noch mehr Leute sterben müßten, bevor die Schriftsteller merken, daß das Problem immer noch da ist. Solange das Problem da ist, muß der Protest dagegen dasein, sonst wird das Problem immer noch größer.

Aber wie soll man die Wiederholung vermeiden, das, was Sie in den „Satanischen Versen“ „Fäusteballen und Rechtschaffenheit“ nennen?

Dafür sind die Schriftsteller doch da! Schriftsteller verbringen manchmal ihr ganzes Leben damit, immer andere Bücher über immer dasselbe Thema zu schreiben, ohne sich zu wiederholen. Wenn man da nicht mal eine Kampagne führen kann, sollte man sich nicht Schriftsteller nennen.

Die „Briefe an Rushdie“ sind inzwischen im Piper Verlag auch als Buch erschienen