piwik no script img

Pharaonen vom Erdbeben wenig erschüttert

Das ägyptische Erdbeben beschädigte einen großen Teil der islamischen Baudenkmäler  ■ Von Karim El-Gawhary

In der Stadt der tausend Minarette bröckelt der Putz der fatimidischen, mamelukischen und osmanischen Jahrhunderte von den Wänden und Kuppeln. Das Erdbeben, das am Montag vor zwei Wochen die ägyptische Hauptstadt Kairo erschütterte, machte nicht nur Tausende von Menschen obdachlos, sondern hinterließ auch bei den zahlreichen Baudenkmälern deutliche Spuren der Zerstörung.

140 Bauwerke, fast ein Fünftel der im „Index der islamischen Monumente“ aufgelisteten Gebäude, wurden laut einer ersten Bestandsaufnahme beschädigt. Die Rede ist von einem „nationalen Plan zur Rettung von 60 unmittelbar mit dem Einsturz bedrohten Monumenten“.

Es sind vor allem die Moscheen in der Altstadt Kairos, an denen riesige Risse klaffen, Minarette sich zu einer Seite neigen oder die Stuckverzierungen von der Decke rieseln. Der Hilal, die bronzene Mondsichel auf der Spitze der Minarette, war das häufigste antiquare Erdbebenopfer, etwa in der ältesten Moschee Kairos, der Amr Ibn Al-As-Moschee, benannnt nach dem islamischen Eroberer der Stadt. Auch die Azhar, die Blühende, ließ ihren Hilal. Im Vorhof betrachten Studenten den vom Erdbeben zerstörten Stuck. Seit über tausend Jahren gehen die Gelehrten und Studenten hier aus und ein, um Vorlesungen über islamisches Recht, Literatur oder auch weltliche Fächer wie Mathematik zu besuchen. Die Azhar zählt zu den ältesten Universitäten der Welt. Noch heute gilt die Azhar als theologisches und geistiges Zentrum des sunnitischen Islam.

Auf der gegenüberliegenden Al-Hussein-Moschee hängt der Hilal-Segen ebenfalls schief auf dem ayubidischen Minarett. Innen ziehen sich mehrere kleine Risse die Wände entlang. Einer der riesigen Kronleuchter ist durch das Beben von der Decke gestürzt. Dies ausgerechnet in der Woche des Mulid Al-Hussein, einem Volksfest aus Anlaß des Geburtstages Al-Husseins, dessen sterbliche Überreste hier seit dem 12.Jahrhundert aufbewahrt sein sollen. Als Sohn des Schwiegersohnes des Propheten wird er von vielen als Heiliger angesehen. Denkmalschützer fürchteten, daß der Rummel um die Schießbuden und Schiffsschaukeln die ohnehin schon angeschlagenen umliegenden Monumente zusätzlich beschädigen könnte. Aufgrund des Erdbebens waren die ÄgypterInnen allerdings nicht in Feststimmung. Viele blieben dem sonst gut besuchten Rummel dieses Jahr fern.

Besonders verheerend sind die Schäden an der Al-Ghuri-Moschee unweit der Azhar. Bekannt ist der Ghuri-Komplex bei den Kairoern vor allem als Kulturzentrum. Theatergruppen üben hier für ihre Aufführungen während des Festmonats Ramadan, und Derwische wirbeln für die Touristen mehrmals wöchentlich durch den Saal.

Ein riesiger Spalt gähnt an der südlichen Mauer, der das Minarett vom Rest des Gebäudes zu trennen droht. Im Inneren finden sich Dutzende faustdicker Risse. Wenige Tage nach dem Beben wurde begonnen, das 3.000 Tonnen schwere und 50 Meter hohe Minarett mit einem Stahl- und Holzgerüst abzustützen, um dessen bevorstehenden Einsturz zu verhindern und die unmittelbare Gefahr für die umliegende Wohn- und Geschäftsgegend zu bannen. Auf das Minarett selbst hochzusteigen, traut sich von den Arbeitern inzwischen niemand mehr. Noch voller Schreck erzählt einer von ihnen, wie er während des Erdbebens in der Moschee eingesperrt war. Der Wärter mit dem Schlüssel hatte sich draußen schnellstens aus dem Staub gemacht, als sich das Gebäude zu bewegen begann.

Kurz nach Erstellung der Moschee zeigten sich im Jahr 1504 schon die ersten großen Risse. Das Gebäude mußte zum großen Teil wieder ab- und erneut aufgebaut werden. Wie schon damals sind heute die Ingenieure der größten ägyptischen Baufirma mit der Restauration beschäftigt. Seit zwei Jahren studieren sie das Bauwerk. Schon vor dem Erdbeben zeigten sich Brüche und Sprünge im Gemäuer. Hauptgrund: Das Grundwasser nagt an den Fundamenten – ein Problem für viele Monumente in Ägypten. Manche machen für diesen Zustand den Assuan-Staudamm verantwortlich, der den Grundwasserspiegel verändert hat.

Die Erschütterungen, die durch den Verkehr hervorgerufen werden, und die kommerzielle Nutzung der unteren Stockwerke machen dem Bauwerk ebenfalls zu schaffen. Schon der Engländer David Roberts zeichnete in einer seiner berühmten Graphiken von 1839 die Ghuri-Moschee geschäftig inmitten des Seiden-Bazars. Noch heute sind es vor allem Stoffhändler, die dort lauthals ihre Waren anbieten. Die Miete für ihre Läden zahlen sie direkt an das Ministerium für Religiöse Angelegenheiten, das damit angeblich für den Erhalt der Moschee sorgt. Aber es waren gerade diese Händler, die sich einer vollkommenen Restauration des Gebäudes bisher entschieden entgegengestellt hatten, schreibt die ägyptische Wochenzeitschrift Al-Ahali. Jetzt ist es zu spät. Das Erdbeben gab dem Gebäude nun endgültig den Rest.

„Der Erdstoß war der berühmte Strohhalm, der dem Kamel den Rücken bricht“, schreibt die libanesische Zeitung Al-Hayat über den Zustand der Monumente. Mit dem Beben sei eine alte Akte wieder neu geöffnet worden: die Vernachlässigung der islamischen und koptischen Baudenkmäler. Die meisten der jetzt im Erdbeben beschädigten Gebäude hätten gerettet werden können, wenn sie zuvor richtig renoviert worden wären, sagt ein Professor für islamische Denkmäler an der Universität Kairo auf einem Rundgang durch die Altstadt. „Vielleicht brauchten wir ein Erdbeben, um aufzuwachen“, schreibt einer der Chefkommentatoren der ägyptischen Zeitung Al-Ahram, Salama Ahmad Salama. Seit Jahren wurden Fonds zur Restauration gegründet, die Offiziellen des Bauministeriums, der Denkmalpflege und der Azhar-Universität hätten sich ein paarmal getroffen, dann fiel alles wieder in einen tiefen Schlaf, kritisiert Salama. Der Ingenieur Usama Kamal, der an der Reparatur des Ghuri-Komplexes arbeitet, schüttelt den Kopf: „Wir haben hier in Ägypten eine regelrechte Inflation an Baudenkmälern. Selbst ein Land wie die USA hätte kein Budget, das alles instandzuhalten“, erklärt er. 100 Millionen Mark sind für die ersten Sofortmaßnahmen für die Baudenkmäler nach dem Erdbeben nötig, schätzt Muhammad Ibrahim Bakr, der Direktor des ägyptischen Amtes für Antiquitäten und Denkmalpflege.

Die ältesten Denkmäler Ägyptens, die pharaonischen Bauten, sind ironischerweise nicht in gleichem Maße wie die islamischen Bauwerke von den Erdbebenfolgen betroffen. Nur einige Steine lösten sich von den scheinbar unzerstörbaren Pyramiden, die nur wenige Kilometer vom Epizentrum des Bebens entfernt lagen. Im ägyptisch-pharaonischen Museum mögen sich vielleicht die Mumien ein wenig in den Sarkophagen gedreht haben, aber sonst scheint nichts weiter passiert zu sein. Doch auch hier ist Kritik zu vernehmen. Die Beschlüsse zur Restauration einiger Tempel standen bereits lange auf dem Papier, aber geschehen sei nichts, heißt es in einem Bericht der Zeitschrift Al-Ahali. Der größte Schaden sei der Einsturz eines Teils der farbigen Decke des Tempels von Kom Ombo. An einer Nilbiegung gelegen, weihten die Pharaonen diesen Tempel den Krokodilen. Er sei, laut Al-Ahali, Teil jenes nicht ausgeführten Restaurationsprogramms gewesen. Über die genauen Schäden an den Tempeln und Gräbern in Luxor und Karnak ist noch nichts bekannt. Man hofft, daß in den nächsten Tagen spezielle Instrumente eintreffen werden, mit denen auch kleine Risse zu entdecken sind.

Über eines scheinen sich die Fachleute einig: Das Erdbeben wird nun die zur Renovierung nötigen Gelder mobilisieren und den nötigen politischen Druck auf die Regierung ausüben. In der Eile steckt allerdings auch die Gefahr, daß die Denkmäler nun schnell, aber unsachgemäß restauriert werden. Was die Jahrhunderte überstanden hat, bedarf langsamer und kleinlicher Renovierungsarbeiten. 15 bis 20 Jahre, rechnet das Denkmalpflegeamt, wird es dauern, bis alles mit der nötigen Ruhe wiederhergestellt sein wird.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen