Feminismus nach der Gleichberechtigung

■ Eine Vortragsreihe zum Thema „Gleichheit oder Differenz“ im Frauencafé „Begine“

Gleichheit und Differenz sind zwei zumeist antagonistisch gedachte Positionen, zwischen denen sich die feministische Diskussion polarisiert hat. Soll auf der Forderung nach Gleichheit bestanden oder die sexuelle Differenz sichtbar und zum Ausgangspunkt politischen Handelns gemacht werden? Dies war die Ausgangsfrage einer in der „Begine“ von Tamara Multhaupt konzeptionierten und vom Bildungswerk für Demokratie und Umweltschutz durchgeführten Vortragsreihe, die am letzten Dienstag mit Gerburg Treusch-Dieters fulminanten Ausführungen zum Thema „Gibt es eine weibliche Moral?“ ihren Abschluß fand.

Heutzutage, wo die Rede vom Postfeminismus umgehe und die Gleichberechtigung für einige schon erreicht zu sein hat, sollte, so Multhaupts Intention, eine Vortragsreihe, die frauenöffentlich diskutiert wird, deutlich machen, daß der Feminismus nicht überflüssig geworden und nicht das Ende, sondern eine Wende im Feminismus erreicht sei. Tamara Multhaupt war sich der Problems bewußt, daß die Begriffe „Gleichheit“ und „Differenz“ sehr theoretisch diskutiert werden können, hofft aber dennoch mit der Einladung zweier „Praktikerinnen“, einer Juristin und einer Parteipolitikerin, die Debatte nicht zu sehr ins Theoretische abheben zu lassen.

So ging es beim Vortrag Anna Damrats, Mitglied der SPD, des Abgeordnetenhauses und Landesvorsitzende der AsF (Arbeitsgemeinschaft der sozialdemokratischen Frauen) um so etwas Handfestes wie die historische Entwicklung der Gleichstellungspolitik in der SPD und um die Quote.

Die Forderung nach Gleichstellung der Geschlechter ist seit 101 Jahren im SPD-Programm enthalten. Und diese über 100 Jahre, so Damrat, könnten getrost weitergezählt werden. Die Durchsetzung der Gleichheitsforderung ist nicht in Sicht. Damrat gab sich dennoch optimistisch. Das Mittel zur Durchsetzung sei die Quote. Seit dem Quotenbeschluß 1988 weise das Parteiprogramm der SPD mehr „weibliche Inhalte“ auf. Innerhalb der Partei gebe es, laut Damrat, seither aber auch eine verschärfte Konkurrenz unter den Frauen um einen Listenplatz. Zwar habe die weibliche Parteimitgliedschaft und -arbeit deutlich zugenommen, die gehe jetzt allerdings dem AsF verloren. Damrat verteidigte trotz ihrer eigenen kritischen Einschätzung die Politik der Gleichheitsforderung. Eine Kampfstellung dagegen sei schädlich.

Weniger eine Kampfstellung als eine nüchterne Feststellung sei es doch laut Multhaupt, daß die Vereinigungskrise die Forderung nach Gleichheit – zum Beispiel in der Beschäftigungspolitik – sofort wieder zur Makulatur mache, was schon daran zu sehen sei, daß der größte Prozentsatz der Arbeitslosen im ehemaligen Osten Frauen sind.

Mit der Frage, ob die Differenzposition als Grundlage für eine feministische Rechtstheorie geeignet sei, leitete die Juristin und Hochschulassistentin Sabine Berghahn ihren Vortrag ein. Die Positionen Gleichheit/Differenz leisteten beide eine notwendige Kritik an den Verhältnissen. Die Differenz dürfe jedoch nicht zur überhöhten Konstante gemacht werden, denn dies führe zu Ideologie. Frauen, die auf der sexuellen Differenz beharrten, zeichneten sich häufig durch eine Distanz zum Recht aus. Die Rechtsdistanz als Folge einer Politik der Differenz sei unsinnig, da sie ausblende, daß wir alle verrechtlicht leben.

Gänzlich ungeeignet sei, so Berghahn, das Differenzdenken für die Rechtstheorie und -praxis. Ansätze, die auf ein weibliches Recht setzten (in Deutschland Andrea Maihofer), seien sinnlos. Die Forderung der Gleichheit im Verfassungsrecht, die Angleichung an das Männerrecht, sei historisch notwendig gewesen. In neuen Entwürfen wird nun „substantielle, gleichberechtigte Teilhabe“ gefordert. Hier sei die Differenzposition aufgehoben, denn sie beziehe mit ein, daß die Geschlechterrollen sich auflösen können.

Christiane Quadfliegs Resümee zu den Aus- und Nachwirkungen der affidamento-Theorie auf die feministische Praxis fiel vernichtend aus. Das Denken der sexuellen Differenz in der affidamento-Theorie beabsichtige letztlich die Etablierung einer weiblichen Gattung und sei eine Spielart des gynozentrischen Feminismus, der Frauen auf ihr Frau-sein-Körper-sein- Mutter-Sein festlege und in unserern gesellschaftspolitischen Verhältnissen Gefahr laufe, von konservativen Richtungen vereinnahmt zu werden.

Das einzig Neue an der affidamento-Theorie sei die ontologische, also die Festlegung des Weiblichen auf eine Wesenshaftigkeit gewesen, und was sei daran politisch?

Quadfliegs Kritik an den essentialistischen Implikationen der Theorie war berechtigt, aber nicht neu.

Das affidamento käme besser als eine Strategie ohne ontologische Dimension daher, denn dann könnte geguckt werden, wie sich ein Bestehen auf sexuelle Differenz lohnen und was umgesetzt werden könnte, so Quadflieg.

Wer aber das von ihrem Vortrag erwartet hatte, wurde enttäuscht. Quadflieg, die als eine illegitime Methode der Autorinnen des affidamento-Buchs deren perfide Diskurstechnik anprangerte, führte ihrerseits diskurstechnisch als schlechterdings inexistent vor, wonach eigentlich geguckt werden sollte.

Machte sie eingangs noch die Perspektive auf, das affidamento in einen Bezug zu setzen zu der Suche nach sinnvollen weiblichen Strategien in den Neunzigern angesichts zum Beispiel des Golfkriges, so kam sie darauf einfach nicht mehr zu sprechen. Es war denn auch kein Wort über eine Gruppe wie Scheherazade von ihr zu hören, die sich während des Golfkrieges gerade im Zeichen einer sexuellen Differenz politisch engagierte und heute in der ImmigrantInnen- und Flüchtlingspolitik aktiv ist.

Gerburg Treusch-Dieters Beitrag zur Frage „Gibt es eine weibliche Moral?“ fiel aus dem Rahmen und war neben dem affidamento- Vortrag die am besten besuchte Veranstaltung der Reihe.

Im Verlauf ihrer Ausführungen machte Gerburg Treusch-Dieter den Versuch, das Modell einer weiblichen Moral, wie sie Carol Gilligan in ihrem Buch „Die andere Stimme“ (1984) herausgearbeitet hat, auf den Fall der Toten in Nürnberg/Erlangen anzuwenden, die künstlich beatmet und ernährt wird, damit der noch lebende in ihr Fötus „ausgetragen“ werden kann.

Nach Gilligan werden zwei geschlechtsspezifische Moralmodelle unterschieden: einmal die männliche Gerechtigkeitsmoral, zum anderen eine weibliche Fürsorgemoral. Während sich die erste durch Prinzipienhaftigkeit auszeichne, setze die weibliche Moral kein Prinzip voraus und halte für gut, was für andere gut sei.

Auf das Beispiel der Toten in Erlangen/Nürnberg angewendet, stellte Treusch-Dieter die Frage, mit welcher der beiden Moralen nun argumentiert werden könnte, um dieses eigentlich gentechnologische Experiment zu unterbinden.

Von der Gerechtigkeitsmoral ausgehend, würde hier ein vorausgesetztes Prinzip „Leben“ geltend gemacht, ein potentielles, ungeborenes, abstraktes Leben. Effekt der Gerechtigkeitsmoral in diesem Fall sei eine dreifache Abstraktion: einmal werde von der Frau/Mutter abstrahiert, die nur noch das Gefäß für den Fötus abgebe, zum anderen werde von der Mutter-Kind-Beziehung als Verbindung abstrahiert, die durch äußere Zuwendung ersetzbar werde. Drittens werde vom Kind abstrahiert, das zum abstrakten Begriff „Leben“ werde.

Bezogen auf die Gerechtigkeitsmoral, erscheint das Experiment als moralisch richtig. Die „weibliche“ Fürsorgemoral muß an diesem Beispiel scheitern. Moralisch erscheint hier die Fürsorge, einmal der toten Mutter, die einer Organspende vergleichbar, dem Kind ihre mit Hilfe von Apparaten noch funktionierenden Organe, besonders ihre Gebärmutter „spendet“. Die Mutter der toten Mutter läßt dem „Kind“ Fürsorge zuteil werden, indem sie den Bauch ihres eigenen toten Kindes streichelt, die Ärzte und das Pflegepersonal, indem sie die Apparate bedienen.

Gilligans weibliche Fürsorgemoral erweise sich so als komplimentär zur männlichen Gerechtigkeitsmoral. Insofern stelle sie keine andere Moral dar, die sich auf eine Differenz zwischen Mann und Frau gründete.

In einem weiblichen Moralansatz dürfte, laut Treusch-Dieter, keine Mutterposition stecken, wie sie in unserer Kultur konstruiert sei: die Mutter sei schon seit der Antike nur das Gefäß gewesen. Auf einer Mutterposition könnte ein weiblicher Moralansatz nur dann gründen, wenn es gelänge, ein Moment einer Mütterlichkeit einzuführen, die mit den moralbegründenden Momenten Begehren, Vernunft, Subjektivität und Erinnerung verbunden wäre.

Die Logik der Moral im Fall der Toten von Erlangen/Nürnberg, so Treusch-Dieter abschließend, sei nur noch auf der Ebene der Apparate zu durchbrechen, und das hieße in diesem Fall: „Schläuche rausziehen.“ Wenn man das täte, könnte man auch sehen, welche und wessen Interessen wirklich dahinter steckten.

Die gewollt öffentliche Diskussion der toten „Schwangeren“ werde zum Testlauf für die Akzeptanz solcher Experimente und bilde ganz nebenbei das schärfste und klarste Votum gegen Abtreibung.

Ansätze zur Veränderung oder feministische Themen auch unter Frauen fänden hingegen keine Öffentlichkeit mehr. Nach 20 Jahren neuer Frauenbewegung werde nun erfolgreich alles zugeschüttet. Tamara Multhaupt sieht die Lage nicht so düster: es gebe Ansätze einer feministischen Politik der Differenz, sie müsse aber deutlichere Konturen gewinnen. Frauke Gust

Im FFBIZ finden am Montag und Samstag nächster Woche Vorträge zur Gentechnologie, unter anderen von Barbara Duden und Gerburg Treusch-Dieter statt.

Die Autorin bedauert, daß es ihr nicht möglich war, am ersten Vortrag der Reihe von Sabine Hark zu lesbischem Separatismus und der Politik der Differenz, der mit großem zeitlichem Abstand zu den anderen vier stattfand, teilzunehmen. Sabine Hark ist bis November nicht in Berlin, so konnte auch der Vortragstext nicht beschafft werden.