Tafel-Bilder

■ Do it yourself mit Jef Geys im Düsseldorfer Kunstverein

Backfischige Schulmädchen stehen in einer Reihe. Vor ihnen ein Kohleofen und die Klassenbänke, hinter ihnen ein Tafel-Bild mit den Überschriften „Environment“ und „Happening“. Zwischen den Texten, sauber gesetzt wie auf einem Werbeplakat, prangt ein Comic- Bild von Roy Lichtenstein. Jef Geys – kein rechter Lehrer, nicht wirklich Künstler – führt im Schulunterricht die Tradition der Bauhauspädagogik fort. Das kollektive Tafel-Bild faßt schon in den sechziger Jahren, geradezu postmodern, Stile und Tendenzen der Gegenwartskunst zusammen, um sie so besser zu studieren. Denn Kunstunterricht in der Bauhaus-Tradition bedeutet nicht nur Farb- und Formenlehre, sondern auch die direkte Auseinandersetzung mit aktueller Kunst. Gemeinsam mit seinen Schülern fragte Geys 1984 bei Jan Hoet an, ob sie nicht eine Kollektion zeitgenössischer Kunst aus dem Genter Museum ins flämische Provinznest Balen bringen könnten: Eine entmusealisierte Museumskunst und die schulische Kunstproduktion „von unten“ macht Geys somit anschlußfähig.

Auf einem Foto steht der Künstler-Pädagoge neben dem Jungen Gijs van Dooren. Beide präsentieren auf dem Tablett eine kleine Skulptur. Geys fordert seine Schüler zum Do it yourself auf: Praxis statt Besserwisserei. Ähnloch wie Jörg Immendorff, ebenfalls über lange Jahre Hauptschullehrer, erhofft sich Jef Geys im Klassenzimmer die sanfte Politisierung seiner zehn- bis 15jährigen Schüler durch den Kunst- und Sprachunterricht. So bat er beispielsweise seine ausländischen Schüler, den Klassenkameraden Türkisch oder Arabisch zu lehren.

1989 quittierte Geys nach 29 Jahren den Schuldienst, ohne seinen volkspädagogisch-anarchischen Ansatz aufzugeben. Seine aus Hölzchen gebastelten Architekturmodelle stellt er gern zwischen den Pokalen der Sportmannschaften aus. Das bankrotte Balener Wochenblättchen Kempen Informatieblad reaktivierte er seit 1971 für seine Zwecke, um bei jeder sich bietenden Gelegenheit eine neue Nummer zu drucken. Die Titelseite der Düsseldorfer Sonderausgabe zeigt die Anleitung zum Mix der Drinks „Moscow Mule“ (Wodka, Zitronensaft, Minze) und „Cuba Libre“ (Rum, Cola, Eis) und das Foto eines Wandgemäldes zur Herstellung der „Bomba Molotov“ (Benzin, Paraffin, Lunte).

Im Mittelpunkt der Düsseldorfer Werkschau steht ein großes Regal, in dem Geys Materialordner und zwei laufende Videoplayer, Architekturmodelle unter Plexihauben, Hemden mit stilisierten KZ-Signets, Fotos, Krimskrams und Reproduktionen flandrischer Gemälde abgestellt hat. Die Aktenordner, darunter auch ein Album von Nina Geys, sind in Frischhaltefolie eingepackt („niet uitpakken!“). Links davon hängen Gemälde in Form lexikalischer Zeichnungen, etwa von Haushaltstätigkeiten und weiblichen Aktposen, die Skizze eines Hauses oder eine Landkarte Südostasiens; rechts das Gemälde eines Gummibaums und eine kissengroße „Zeltskulptur“ aus über ein Holzgestell gespanntem Stoff. Unprätentiös auf braune Pappe geklebte Fotodokumente geben der vom Brüsseler Palais des Beaux Arts übernommenen Mischung aus Formstudie und Recycling den Rahmen.

Als wolle er sich auf den lässigen Umgang mit einfachen Materialien nicht festlegen lassen, modellierte Geys eine Gruppe farbiger Figurinen, deren Herkunft zwischen Schachbrett, Kicker und Oskar Schlemmer pendelt. Für eine Serie von Blumenbildern beauftragte Geys, à la Duchamp, einen Schildermaler, der für ihn Jahr um Jahr Samentüten sauber und bunt auf Holzbretter hochkopiert. Im Treppenhaus hängen mit Autolack besprühte Wandplastiken, welche in ihrer badezimmerglatten Form auf Richard Princes ausgestellte Motorhauben anspielen. Wie im Kunstunterricht sind auch Geys' sonstige Arbeiten Produkte reflexiver Nachahmung. Immer wieder bedient er sich des häufig selbstreferentiellen Formen- und Methodenrepertoires seiner Kollegen und übernimmt in einem Akt dokumentarischer Wiederaufbereitung die Fackel der Avantgarde. Als Genregemälde und Pulli-Strickbild, in Form eines Fußballers oder Baukastens leuchtet sie von Balen aus. Jochen Becker

Noch bis zum 22.November.