Abschiebung zwecks Abschreckung

■ Am 1. November tritt das zwischen Bonn und Bukarest ausgehandelte Abkommen in Kraft, das die Abschiebung abgelehnter Asylbewerber aus Rumänien, hauptsächlich Roma, beschleunigt.

Abschiebung zwecks Abschreckung

Als am 24. September in Bukarest die „Vereinbarung über die Rückübernahme von deutschen und rumänischen Staatsangehörigen“ unterzeichnet war und Rudolf Seiters (CDU) mit seinem rumänischen Amtskollegen Victor Babiuc Hände schüttelte, zeigte sich der deutsche Innenminister sehr „erleichert“ über den „wirkungsvollen Schritt zur Eindämmung der illegalen Einwanderung“. Am 1. November tritt das Abkommen in Kraft. Es beschleunigt die Abschiebung abgelehnter AsylbewerberInnen aus Rumänien, von denen mehr als 60 Prozent Roma sind. Zum anderen will Bonn Roma abschrecken, die illegal einreisen. Davon will man im Innenministerium aber heute nichts mehr wissen: „Es gibt keinen Vertrag zur Abschiebung der Roma“, spielt ein Sprecher die Vereinbarung herunter. Der Vertrag sei „auf rumänische Roma gerichtet“, meint dagegen die Menschenrechtsorganisation „Helsinki Watch“ in ihrem jüngsten Bericht über rechtsextremistische Gewalt in Deutschland.

Besonders das Ausland hatte scharf reagiert. Englische, amerikanische und französische Zeitungen schrieben von einem „Deportationsvertrag“. Zuletzt erinnerten Serge und Beate Klarsfeld und französische Juden in Rostock daran, daß gerade Deutschland sich mit Sondergesetzen für „Zigeuner“ zurückhalten sollte. „Dieser Vertrag ist meines Wissens ein Novum“, meint auch Herbert Leuninger, der Sprecher von pro asyl. Die Arbeitsgemeinschaft unterstützt die Forderung des Vorsitzenden der Rom & Cinti Union, Rudko Kawczynski, nach „internationaler Verurteilung des Bonn- Bukarester-Vertrages“. Es sei zu befürchten, daß die rumänischen Behörden den ohne Pässe Zurückgekehrten neue Pässe verweigern und sie damit hindern könnten, das Land zu verlassen.

KritikerInnen des Abkommens wie die Roma-Expertin der Gesellschaft für Bedrohte Völker, Katrin Reemtsma, fürchten außerdem, daß der Vertrag deutsche Behörden ermutige, schon auf frisch eingereiste RumänInnen und Roma zuzugreifen und sie zurückzuschaffen, noch bevor sie einen Asylantrag stellen konnten. Das wäre gegen das geltende Asylrecht, könnte aber kaum kontrolliert werden. In dem deutsch-rumänischen Abkommen verpflichten sich beide Seiten, StaatsbürgerInnen, „die sich illegal auf dem Hoheitsgebiet der jeweiligen anderen Vertragspartei aufhalten, d. h. die die geltenden Voraussetzungen für die Einreise oder den Aufenthalt nicht oder nicht mehr erfüllen“, zurückzunehmen (Artikel 1). Dies auch dann – und das ist das Wichtigste–, wenn die Betroffenen keine gültigen Pässe haben. Faktisch betrifft dies nur Rumänien. Denn allein von Januar bis August 1992 haben nach Auskunft des Bundesinnenministeriums 57.446 RumänInnen Asyl beantragt, das sind 21 Prozent aller BewerberInnen.

Verläßliche Zeugenaussagen statt Ausweise

Statt gültiger Papiere erlaubt das Seiters-Abkommen in Artikel 2 Ersatznachweise für die rumänische Staatsbürgerschaft. So kann ein Führerschein genügen, ein abgelaufener Paß oder ein Seefahrerausweis. Sofern nichts Schriftliches vorliegt, sollen auch „verläßliche Zeugenaussagen“ ausreichen, jemandes Staatsbürgerschaft glaubhaft zu machen. Nach dem am Mittwoch unterzeichneten Durchführungsprotokoll können die Ausländerbehörden der Städte und Kreise künftig durch eine/n Dolmetscher/in bezeugen lassen, daß diese oder jener Asylsuchende den Asylantrag in rumänischer Sprache gestellt und begründet habe und folglich Rumäne/in sei. Die Behörde schickt dann einen entsprechenden Brief an das nächstgelegene rumänische Konsulat. Erhebt dieses innerhalb von drei Tagen keinen Widerspruch, gilt die rumänische Staatsbürgerschaft als glaubhaft nachgewiesen, und die/der Betreffende kann unverzüglich abgeschoben werden. Bisher mußten die deutschen Behörden in Rumänien Paß-Ersatzpapiere für die Abzuschiebenden beantragen, andernfalls nahm Rumänien sie nicht auf. Für Abschiebungen zuständig sind die Bundesländer. Sie bezahlen die Flüge der Abgeschobenen bis Bukarest. Während man im nordrhein-westfälischen Innenministerium das Abkommen für eine „Luftblase“ hält, rechnet man in Niedersachsen für Anfang November mit einer erheblich höheren Zahl abgeschobener RumänInnen.

„Wir werden Gruppenabschiebungen haben“, meint ein Sprecher des niedersächsischen Innenministeriums auf die oft gestellte Frage, „aber keinesfalls Massenabschiebungen.“ In den Länderbehörden herrscht insgesamt aber noch Unklarheit über die Umsetzung des Abkommens. Die Sprecherin des brandenburgischen Innenministeriums sagte der taz, die Durchführungsbestimmungen hätten keine rechtlich gesicherte Grundlage und seien mit dem geltenden Asylgesetz nicht vereinbar.

Für den Vertragsabschluß sei kein Geld nach Rumänien geflossen, beteuert das Bundesinnenministerium. Doch hat das Ministerium im letzten Jahr ein sogenanntes „Rückkehrförderungs- und Reintegrationsprogramm Rumänien“ in Gang gesetzt, für das bis 1996 30 Millionen DM fließen werden. In drei Ausbildungswerkstätten in Sibiu, Timisoara und im Kreis Arad sollen Männer in diversen Handwerksberufen ausgebildet werden. Voraussetzung ist die „freiwillige“ Rückkehr. Dieses kostenintensive Programm dürfte die Verhandlungsfreudigkeit der rumänischen Regierung äußerst positiv beeinflußt haben.

„Völkerrechtlich läßt sich dennoch gegen diesen Vertrag wenig sagen“, urteilt Wolfgang Grenz von amnesty international. Er ermögliche keine zusätzlichen Abschiebungen. Politisch allerdings, so Grenz, „könnte die Botschaft rüberkommen, daß rumänische AsylbewerberInnen künftig ohne Einzelfallprüfung abgeschoben werden dürfen“. Auch Katrin Reemtsma ist der Meinung, der Vertrag etabliere durch die Hintertür Rumänien als „Nichtverfolgerstaat“ und dies ausgerechnet auf Kosten einer Minderheit, der Roma, die in Rumänien nach wie vor ständiger Diskriminierung und Verfolgung ausgesetzt sei.

Für den Zentralrat Deutscher Sinti und Roma wurde das Abkommen „zur Stigmatisierung abgeschlossen und propagiert mit dem Zweck, Sinti und Roma zu ,Sündenböcken‘ für das herbeigeredete ,Asylproblem‘ abzustempeln und verantwortlich zu machen für die ungelösten sozialen Probleme in den neuen Bundesländern“. Bettina Markmeyer