Irrsinn, dein Name sei Weib

■ Hansgünther Heymes „Tochter der Luft“: nach Essen jetzt auch im Bremer Schauspielhaus abgeschmiert

Glaubt mir, zweieinhalb Stunden lang flog ganz allein Heymes blasser Geist über die Bühne und werkte überall zugleich; hie zupfte und da zerrte er, dort scheuchte er Schattengestalten in immer neue Posituren, und da hinten die eine, die er immerzu ruckeln und zuckeln ließ, daß Gott erbarm', das muß einmal die allzu schöne Schauspielerin Gudrun Landgrebe gewesen sein, die Vampyrette des Kleinen Fernsehspiels.

Am Donnerstag im Schauspielhaus aber, als „Tochter der Luft“, exekutierte sie höchstens noch die Notizzettel des Regisseurs; es war sehr verdrießlich anzusehn.

Schon im Frühling die Essener Uraufführung war nicht eben bejubelt worden (s.u.); warum Heyme seine Fassung dennoch nach Bremen mitbrachte, bleibt unerforscht. Nach der hiesigen Premiere jedenfalls patschten die Leute nur ein wenig aus Anstand, bevor sie entflohen.

Dabei wäre das Stück ganz wunderbar. Geschrieben hat es vor Zeiten der spanische Barockdichter Calderon de la Barca, allerdings für zwei Abende mal fünf Stunden. Wie gut, daß schließlich Hans Magnus Enzensberger des Weges kam und dem zeitgenössischen Sitzfleisch eine ganz neue Fassung machte; jetzt ist die zeremoniöse Pracht zerstoben, umso leichtfüßiger kommt, in Jamben, das Spiel einher.

Semiramis, „gezeugt durch Gewalt“, elternlos von Geburt an, ein ungeheures Weibsbild von Nirgendwo, eine „Tochter

Deine Rede sei Piff, Piff, Paff, Paff, und was darüber ist, ist von Übel: Gudrun Landgrebe als Semiramis im SchauspielhausFoto: Jörg Landsberg

der Luft“, entkommt nach Jahren ihrem Erdloch und kommt zurück aus der Verächtlichkeit über die Menschen und stiftet, da sie losgelassen, Wahn und Raserei.

Sie, die gänzlich lose Frau, vermutlich die allerloseste der Theatergeschichte, ist natürlich eine Angstgegnerin für den gehobenen Theaterregisseur: Das hergelaufene Publikum möchte wohl Semiramis, die schrecklich Schöne, wüten sehn; vielleicht möcht ihm auch schwindlig werden, wenn sie aus Infamie in die Rolle ihres Sohnes schlüpft, gleicht er seiner schlechten Mut

hierhin bitte das

Theaterfoto

von dem kämpfenden

Paar

ter doch so sehr, der gute Bub; vielleicht möcht es gar ein wenig Schauer empfinden vor der eventuellen Rechtmäßigkeit ihrer Rache.

Aber nix da: Heyme billigt ihr, die der Sage zufolge doch Babylon erbaut hat, noch lang nicht das Recht zu, unsere Sinne zu verwirren; er läßt vielmehr die arme Gudrun Landgrebe nacheinander in starren Posen einrasten, auf daß wir uns nur ja das Lärvchenhafte aller Schönheit einprägen; er läßt sie besinnungslos holpern, hängen und würgen, weil unrecht Gut nicht gedeihen soll; er macht einen hy

sterischen Trampel aus ihr; ich will gar nicht wissen, warum.

Gleich während des Vorspiels war mir so bang: Da mußten Edelleute paradieren, dumm wie Lipizzaner, da hampelt das Püppchen Semiramis in den Armen ihres Befreiers; da hört man wahrlich den Großen Kopf schon kreißen.

So nimmt die Belehrung ihren Lauf; ab und zu untermalt von wallenden Tuchen in vielfarbnem Licht, daß wir nicht murren. Die Bühne von Wolf Münzner ist dem schlechten Zweck dienlich und kann weiter nichts dafür; noch weniger läßt sich leider nur über die Schauspieler sagen: Sie sind gar nicht da, außer infolge Dienstverpflichtung. Niemand kann, alle müssen; und frösteln in ihren Rollen. Die Hauptfigur ist schon massakriert; da hört sich auch ringsum das Spielen auf.

Selten leuchten kleine Momente auf: Beispielsweise wenn Hans Schulze als König einfach mal bißchen irre werden darf vor Weh und Ach, ohne daß Heyme dazwischenfährt, uns vor dem Adelspack zu warnen. Manfred Dworschak

nächste Aufführung: heute um 20 Uhr im Schauspielhaus

PS: Uta Stolle hatte für die taz am 20. Januar, es währte noch der Golfkrieg, die Essener Uraufführung rezensiert: „Daß Heyme die amerikanische Plastikkultur, die bekanntlich das zu ihrer Herstellung notwendige Öl durch Blut gewinnt, an den Tatort Babylon verpflanzt, das stellt Enzensbergers Stück von den Füßen auf den Kopf.“ Enzensberger habe Semiramis– Entschlossenheit zur globalen Rache aus dem Durst der „angeketteten Hündin nach einer Freiheit“ erklärt, die darin bestand, zu vernichten und in Ketten zu legen, auf wen sie trifft.“ Heyme dagegen habe „mit ängstlichem Zeigefinger aufgeklärt, daß nicht alles Gold ist, was glänzt und aus Amerika kommt.“