Ewald Plaste und der Ökosaft

Der Grüne Punkt ist bisher noch keiner Verpackung verweigert worden – eine Garantie für die Müllvermeidung bietet er allerdings nicht  ■ Von Annette Jensen

Ewald Plaste hat einen Möhren- Kohl-Saft entwickelt, gesund, belebend und wohlschmeckend. Jetzt fehlt ihm nur noch die geeignete Verpackung. Eine durchsichtige Flasche würde ihm gefallen, so wie die, in denen französisches Mineralwasser vertrieben wird. „Die sind aus PVC“, erklärt ihm ein Vertreter eilfertig. „Das Stück kostet so zwischen 40 und 50 Pfennig bei zwei Litern.“ Ewald Plaste ist verunsichert: „Ein Gesundheitssaft in einer PVC-Flasche – verkauft sich denn das?“ Der Vertreter lächelt gewinnend: „Aber selbstverständlich. Außerdem brauchen Sie ja nicht draufzuschreiben, woraus das Ding besteht.“ Die DIN-Norm 6120 sei schließlich nur eine Empfehlung und keine Vorschrift, die Materialzusammensetzung anzugeben. „Und mit dem Grünen Punkt versehen wirkt die Flasche doch fast wie ein Bioprodukt“, wirbt der Kunststoffverarbeiter.

Ewald Plaste ist begeistert: Natürlich, der Grüne Punkt muß her. Die freundliche Dame vom Dualen System Deutschland (DSD) verweist ihn an die Verwertungsgesellschaft für gebrauchte Kunststoffe (VGK), die Garantiegeberin für die Wiederverwertung von Kunststoffverpackungen. Etwas unsicher trägt Ewald Plaste sein Anliegen vor; noch immer assoziiert er PVC mit Gift und Dioxinwolken. Aber die Sachbearbeiterin beruhigt ihn schnell: „Wir haben noch keiner Verpackung den Grünen Punkt verweigert.“

Am 1. Januar 1993 kommt der Möhren-Kohl-Saft auf den Markt. Er wird ein Renner – ganz Deutschland scheint nur auf dieses neue Produkt gewartet zu haben. Schon nach zwei Wochen sind 100.000 Flaschen verkauft. Nach der Verpackungsverordnung dürfen 70.000 Möhren-Kohl-Saft-Flaschen zunächst weiter auf Deponien oder in Müllverbrennungsanlagen wandern. Bei Verbrennung wird zwar ihr Volumen geringer, aber sie setzen auch fast 4.000 Kilo Salzsäure frei. Die werden nun wegen der vorgeschriebenen Alkali- Rauchgas-Wäsche nicht mehr in die Luft geblasen, aber ungefährlich sind sie dennoch nicht: Sie gehören auf die Sondermülldeponie.

Ewald Plaste, ein verantwortungsvoller und interessierter Zeitgenosse, will aber jetzt doch wissen, was mit seinen Flaschen passiert, wenn sie in der gelben Wertstofftonne vom DSD landen. Ein Blick in den Kübel verursacht ihm spontan Übelkeit: Neben seinen Möhren-Kohl-Flaschen, in denen zum Teil schon der Schimmelpilz wütet, liegen klebrige Plastikfolien und halbvolle Joghurtbecher, an denen noch die Reste der Aludekkel hängen. Von den 30.000 Möhren-Kohl-Saft-Flaschen, die die DSD-Leute in den gelben Tonnen zu finden hoffen, müssen nur 9.000 aussortiert werden – der Rest kann als „stofflich nicht verwertbar“ ebenfalls verbrannt und deponiert werden.

„Sortenrein gesammelt sind die PVC-Flaschen zu Röhren und hochwertigen Fensterrahmen zu verarbeiten“, hatte ihm der Vertreter versichert. Aber tatsächlich wird wohl kaum ein PVC-Rohr später mit dem Spruch werben können: Ich war eine Möhren- Kohl-Saft-Flasche; zu viele verschiedene Kunststoffarten liegen in den gelben Tonnen kunterbunt durcheinander.

Eher wird Ewald Plaste seine Möhren-Kohl-Saft-Flaschen in einen Blumentopf oder eine Parkbank transformiert wiederfinden. Gereinigt und fein geschreddert wird der Kunststoffmix für 350 bis 500 D-Mark an die Verwerter verkauft. Geht der Blumentopf kaputt, hat er kaum eine Chance auf eine neuerliche Reinkarnation.

Einige wenige Möhren-Kohl- Saft-Flaschen werden in einer Pyrolyse-Anlage verschwelt: In den luftdicht abgeschlossenen Drehrohröfen wird durch Hitze von außen das Gas ausgetrieben, und es entsteht neben koksartigen Rückständen ein Öl. In Laborversuchen ist es zwar bereits gelungen, Dioxin- und Furanbildung zu verhindern. Voraussetzung dafür ist allerdings, daß sich weniger als ein Prozent Sauerstoff in der Trommel befindet – eine bei Müll nicht zu erreichende Bedingung. „Und Dioxine sind extrem fettlöslich“, weiß Ewald Plaste noch aus seinem Chemieunterricht. Messerscharf schließt er: Das Öl ist belastet. „So kann man daraus ja noch keine neuen Möhren-Kohl-Saft-Flaschen machen“, denkt Ewald Plaste enttäuscht.

Aber der Recyclingvorgang kann noch fortgesetzt werden: In einer sogenannten Hydrieranlage werden bei einem Druck von 300 Bar und 475 Grad die Chlorverbindungen aufgebrochen. Möglich ist es sogar, die geschredderten Flaschen direkt in die Anlage zu geben, nur ist das sehr teuer. Das Öl, das jetzt gewonnen ist, kann tatsächlich wieder zu Getränkeflaschen, Dosen und Bechern verarbeitet werden. Allerdings muß frisches Öl zugemischt werden. „Die Plastikmenge wächst also“, schließt Ewald Plaste.

Wieviel jetzt eine 2-Liter-Möhren-Kohl-Saft-Flasche kosten würde, wenn sowohl der Sammel- und Sortieraufwand als auch die Kosten für Pyrolyse und Hydrierung eingerechnet würden, kann Ewald Plastes Vertreter ihm auch nicht sagen: „Ich denke aber, es würde um ein Mehrfaches teurer als die Ursprungsflasche. Und das wäre ja wohl nicht zumutbar.“