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Die Arche in der Sintflut der Bilder

■ Damit der Fernsehfilm nicht untergeht, gibt's ab heute in Südwest3 wieder die „Debüts im Dritten“

„Debüt im Dritten“ heißt eine Reihe in Südwest 3, die jungen Autoren und Regisseuren ihre ersten Spielfilme ermöglicht. Neben Susan Schulte, die im letzten Jahr für ihre „Debüt“-Arbeit mit dem Grimme-Preis dekoriert wurde, sitzt Christian Granderath in der Redaktion dieses Labors in Sachen Fernsehspiel.

taz: Herr Granderath, wo finden Sie den Nachwuchs?

Christian Granderath: Das ist sehr unterschiedlich. Wir schauen uns auf Festivals um, zum Teil sehen wir uns Kurzfilme von Absolventen der Filmhochschulen an. Da wird man auf Leute aufmerksam. Wir achten vor allen Dingen darauf, ob jemand vielleicht schon nach dem zweiten Kurzfilm eine eigene Handschrift hat. Das war z.B. bei Nina Grosse, Wolfgang Becker, Söhnke Wortmann oder Claus Michael Rohne so.

Letztes Jahr war die Reihe sehr gut. Dieses Jahr ist im Vorwort des „Debüt“-Presseheftes von einem „Stillstand im deutschen Film und Fernsehen“ die Rede. Bringen die Filmhochschulen keine guten RegisseurInnen mehr hervor?

Sagen wir mal so, letztes Jahr hatten wir eine starke „Debüt“- Reihe. Die Reihe ist dieses Jahr sicher auch gut. Wobei wir glücklich sind, wenn wir von den sechs Filmen, die wir jedes Jahr machen, insgesamt zwei haben, die gut oder sehr gut sind. Und das sind dann die Leute, mit denen wir weiter arbeiten. Leute, die wir ins Erste Programm rüberziehen wollen. Das Wort „Stillstand“ im Vorwort meint etwas anderes. Als ich bei einer Sichtung in der Berliner Filmhochschule DFFB war, dachte ich, daß dort Deutschland nach dem Mauerfall in irgendeiner Form reflektiert werden würde. Aber erstaunlicherweise bezog sich nur ein einziger Film auf diese Veränderung. Ein Kurzfilm, den ein Texaner gemacht hatte.

Sie haben mit „Stilles Land“ von Andreas Dresen auch Kino- Koproduktionen im Programm. Gibt es heute noch einen Unterschied zwischen Fernsehfilm und deutschem Kino?

Da wird meiner Ansicht nach eine künstliche Debatte geführt. Das sieht man zum Teil daran, daß jede Menge Kinofilme im Fernsehen immer noch hervorragend funktionieren. Natürlich ist es keine Frage, daß man Kinofilme lieber im Kino sieht, wo es eine ganz andere Form der Rezeption gibt. Aber das ist auch eine ökonomische Sache. Ein Fernsehspiel hat bestenfalls einen Etat von etwa 1,5 Millionen Mark. Einer der wichtigen Punkte bei den Debüts ist, daß bei diesen Filmen, die für vergleichsweise wenig Geld produziert werden, vergleichsweise originelle Sachen herauskommen. Außerdem sind die Filme, die bei uns gemacht werden, nicht unbedingt der Fernsehästhetik verhaftet. Sie müssen nicht alle zwanzig Sekunden eine Großaufnahme hinklatschen, wenn sie Fernsehfilme machen. Mir sind auch zu wenig Totalen im Fernsehfilm.

Der Druck innerhalb der Öffentlich-Rechtlichen ist gewachsen: Es soll einen Fernsehspiel- TÜV geben. Ein Gremium wird darüber entscheiden, was noch um 20.15 Uhr ins Erste darf. ARD- Programmdirektor Struve plant eine Zusammenlegung der Dritten. Budgets werden gekürzt. Was bedeutet das für Ihre Arbeit?

Wir haben das Glück, einen Fernsehdirektor zu haben, der die Reihe sehr schätzt. „Debüt im Dritten“ ist nach dem Grimme- Preis finanziell sogar ein bißchen besser ausgestattet worden. Auch wenn man dem einen oder anderen Projekt mehr Geld gewünscht hätte: man muß auch sehen, daß dies die ersten längeren Filme sind. Da ist es notwendig, Originalität zu finden, zu sagen: Ich suche mir ein Sujet, wo ich für eine bestimmte Summe produzieren kann. Claus Michael Rohne ist ein hervorragendes Beispiel. Er hatte ein Projekt angeboten, sehr schön, ein Roadmovie quer durch Deutschland, und wir haben die Finanzierung nicht zustande bekommen. Dann hat er eine Geschichte geschrieben, die nur an einem Set spielt, in der Straßenbahn. Dabei ist etwas sehr Originelles herausgekommen: „Unter Kollegen“, die auch Grimme-Silber bekamen.

Abgesehen vom künstlerischen Umdenken: Wie reagieren Sie auf die verschärfte Konkurrenz zu den Privaten, den Druck der Quote?

In der Arbeit an den Büchern machen wir stets klar, daß der Film nicht nur den Autor, den Regisseur und seine fünf Freunde angehen soll. Doch der geistige und handwerkliche Durchfall der Privaten kommt für „Debüt“ nicht in Frage. Dabei ist die Crux: Die private Konkurrenz hat mit ihrem billig produzierten Mist quantitativ den größeren Erfolg. Dennoch sollten ARD und ZDF dem Erfolg nicht krampfhaft hinterherrennen. Mir als relativ jungem Redakteur kommt es manchmal so vor, daß sich die Suche nach Erfolg auf das Kopieren vermeintlich sicherer Rezepte beschränkt; auf Filme mit Ärzten, Förstern und Polizisten. Das ist mir zu dürftig. Wir müssen eigene Sachen entwickeln.

Was die Reihe in diesem Jahr betrifft – warum starten Sie mit „Andy“?

Das ist eine Eigenproduktion. Wir heißen Südwestfunk, und wir haben die Erfahrung gemacht, daß die Zuschauer sehr interessiert sind, wenn die Geschichten vor ihrer Haustür spielen. Die Filmhochschulen sitzen in München oder Berlin, und die Absolventen drehen in der Regel dort. Die wissen nicht, was es hier an Möglichkeiten gibt. Seit dem letzten Jahr laden wir gelegentlich Regisseure oder Autoren ein und sagen: Die oder die Landschaft eignet sich, optisch etwas zu erzählen. Gibt es eine Geschichte, die du hier ansiedeln möchtest? Im letzten Jahr waren zwei Regisseure da, die den Schwarzwald nur aus der „Schwarzwaldklinik“ kannten. Die waren von der Location völlig begeistert. Aber der erste Film hat relativ oft autobiographische Elemente. Die wollen dann was erzählen, was sie kennen. Die Debütanten sind ja in der Regel jung. In diesem Jahr zwischen 26 und 36.

Wo liegt für Sie die Zukunft des Fernsehspiels?

Ich glaube, daß noch zu wenig Autoren und Regisseure da sind, die sich mit der drastisch veränderten Situation in diesem Land auseinandersetzen. Auch sind wahnsinnige Veränderungen durch die Sintflut der Bilder da, die tagtäglich im Fernsehen auf uns einstürzen. Heute muß man anders arbeiten als früher. Ein Film, der sehr langsam anfängt, hat heute große Probleme. Auf der anderen Seite kann man jetzt an den Hochschulen beobachten, daß die Leute publikumsorientierter erzählen.

Sie arbeiten jetzt auch mit dem „Zentrum für Kunst und Medientechnologie“ in Karlsruhe zusammen.

Das hat damit zu tun, daß wir der Meinung sind: Die Angebote, die wir bekommen, machen manchmal den Eindruck, als hätte man sie im Prinzip auch vor zwanzig bis dreißig Jahren machen können. Jetzt wollen wir testen, wie man die ästhetischen Möglichkeiten der Videokunst im Fernsehspiel oder Fernsehfilm – das ist ein Ausdruck, der mir wesentlich besser gefällt – einbringen kann. Das heißt nicht nur, eine Geschichte zu haben, sondern, den Leuten auch neue Bilder zu zeigen. Interview: Sabine Jaspers

„Debüt im Dritten“ startet heute mit „Andy“ von Ralph Bohn um 21.15 Uhr. An den folgenden Montagen zeigt Südwest 3 jeweils um 21.15 Uhr: „Moritz“ von Dietrich Mangold, „Der unsichtbare Freund“ von Ray Müller, „Die Terroristen!“ von Philipp Gröning, „Wheels & Deals“ von Michael Hammon und „Stilles Land“ von Andreas Dresen. Im Anschluß laufen jeweils Kurzfilme der DFFB.

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