Notruf aus dem Streifenwagen

Ostdeutsche Polizisten klagen über ungenügende Ausstattung, mangelhafte Ausbildung und Überforderung/ Mit ausrangierten West-Fahrzeugen und ohne Knieschoner im Einsatz  ■ Aus Forst Annette Rogalla

Zurückhaltend, abwartend, wohlüberlegt handelnd – Mike Weißkopf und Bernd Frank beschreiben sich als umsichtige Wachtmeister. Sein wahres Können jedoch zeigt der Polizist beim Autofahren. Die Zentrale meldet dem Streifenwagen „Forst 1225“ den dritten Unfall in vier Stunden. „Unfallklasse C auf der B 115, Richtung Bad Muskau“, ein schwerer Unfall mit Verletzten. Mike Weißkopf stellt das Martinshorn ein und tritt das Gaspedal durch. Mit 100 Sachen jagt er durch die engen Kurven. Im deutsch-polnischen Grenzgebiet, entlang der Neiße, sind die Straßen unübersichtlich. Hin und wieder huschen ein paar kleine Häuser am Wagenfenster vorbei. Geht die Fahrt durch Dörfer oder am Waldrand entlang? Eine Orientierung ist nicht möglich, zu schnell fährt der Polizist durch die Dunkelheit. Gut zwanzig Minuten braucht der Streifenwagen bis zur Unfallstelle. Rekordzeit: der Krankenwagen kommt fünf Minuten später.

Eine junge Frau im Trabant hat einem Mopedfahrer aus Polen die Vorfahrt genommen. Der junge Mann flog im hohen Bogen durch die Luft – er hatte Glück im Unglück: eine Buchsbaumhecke bremste seinen Sturz. Mit blutverschmiertem Gesicht liegt er auf dem Asphalt. Er ist ansprechbar, aber die Polizisten können den Unfall nicht aufnehmen. Sie sprechen kein Polnisch. Niemand der Umstehenden kann dolmetschen. Doch Bernd Frank weiß sich zu helfen. Er fragt, wer in der Umgebung wohnt, der älter als sechzig ist. Rasch wird eine alte Dame geholt. Sie kam 1948 aus Polen herüber. Die Frau übersetzt, und bald sind die beiden Polizisten ungefähr im Bilde.

Vom Unfallort wird die Funkstreife nach Forst zurückgerufen: Randalierer im Schwimmbad, Feststellung der Identität, lautet der Auftrag. Ein zwölfjähriger Junge mit nassen Haaren wartet auf die Polizei. „Der Delinquent“, sagt der Bademeister. Smirno hatte sich über den Bademeister geärgert und aus Wut gegen die Eingangstür getreten. Glas splitterte. Der Junge bekam Angst, mochte nicht einmal mehr seinen Namen sagen. Die Polizeistreife bringt ihn zu seiner Mutter. Bernd Frank begleitet ihn, damit die Tracht Prügel nicht allzu kraß ausfällt.

Kinder und Jugendliche zählen häufig zu den Klienten der Polizeiwache in Forst. Täglich gabelt die Funkstreife verwahrloste und vernachlässigte Kinder im Park oder am Ufer der Neiße auf. Oftmals von den Eltern nicht vermißt, obwohl sie seit acht und mehr Stunden nicht zu Hause aufgetaucht sind.

In Forst, der kleinsten Kreisstadt in Brandenburg, gibt es kein Freizeitheim für Jugendliche unter 14 Jahren. Kindersozialarbeit gehört zu den neuen Aufgaben der Forster Polizei.

Ein weniger freundschaftliches Verhältnis pflegen die Polizisten zu älteren Jugendlichen. Rechte und linke Jugendcliquen zählen zusammen etwa 120 Mitglieder. Etwa 30 davon gehören zum harten rechtsradikalen Kern. Nach den Krawallnächten von Rostock mußten Mike Weißkopf und seine Kollegen aus Forst immer wieder nachts raus, weil sich rechte Jugendliche vor dem Revier im Nachbarort Spremberg zusammenrotteten, angetrunken Steine und Flaschen hineinwarfen. Der stämmige Mittzwanziger rückte in Ausgehuniform und Halbschuhen aus.

Im dritten Jahr des neuen Polizeisystems hängen noch immer keine Kampfanzüge in der Forster Polizeiwache. Gegen Brandsätze und Steine können sich die Polizisten nur schwer absichern. Auf dem Kopf tragen sie umgerüstete Motorradhelme, in den Händen halten sie alte DDR-Schilde, aus Weichplastik und undurchsichtig. Bei Auseinandersetzungen mit Gewalttätern stehen sie ohne Stichwesten und Knieschoner da, Atemschutzmasken, notwendig für Tränengaseinsätze, fehlen.

Den Forster Polizisten mangelt es nicht nur an eigener Ausrüstung. Ihnen fehlt auch die notwendige Technik. So quälen sich die Beamten mit drei Funkkreisen herum. Mike Weißkopf kann von seinem Streifenwagen keinen direkten Kontakt zu einer anderen Streifenbesatzung aufnehmen. Jedes Gespräch muß über die Zentrale abgewickelt werden. „Es kann passieren“, sagt Bernd Frank, „daß wir im nächsten Neubauviertel in einen Funkschatten fahren oder die Kollegen aus Dresden auf unserem Netz liegen. Die senden auf viel stärkeren Frequenzen als wir.“ Kommt es zum gefürchteten Wellensalat, kann die Streifenwagenbesatzung nur über Telefon den Kontakt zur Wache herstellen. Aber Telefonzellen sind rar im östlichsten Landkreis der Republik. Mehr noch als die Funkschatten fürchten die Polizisten handfeste Funkstörungen. Hin und wieder blenden rechtsradikale Gruppen aus dem nahen Cottbus Musik auf die Polizeifunkfrequenz. Dann sind sämtliche Funkkanäle im Präsidiumsbezirk Cottbus lahmgelegt. Dann steht nicht nur die Besatzung des Streifenwagens „Forst 1225“ auf verlorenem Posten.

Gute zwei bis drei Jahre werde es noch dauern, bis die Forster Polizei den Stand ihrer westdeutschen Partnerstadt Detmold erreicht habe. Das glaubt jedenfalls Olaf Fischer, der Leiter der Forster Polizeidienststelle. Ihm mangelt es an allem. Derzeit fahren seine Beamten zwei ausrangierte Streifenwagen von den Detmolder Kollegen. Verglichen mit den alten Wartburgs, kommen die ausgemergelten Westwagen wie wertvolle Morgengaben daher. Während die Polizei im Westen mit allem Komfort ausgestattet ist, müssen die Brüder im Osten sich mit dem Abgelegten zufriedengeben. Die Sicherheit bleibt auf der Strecke.

Seit Mitte Oktober hat Forst sechs Unterkünfte für Asylbewerber. Vier liegen in der Stadt, zwei etwas außerhalb. Eins davon am Waldrand, es ist mit einfachem Maschendraht umzäunt. Neben der Polizeistreife patrouillieren auch private Wachdienste. Aber sicher, sagt Olaf Fischer, seien die Menschen in keiner Unterkunft. Aber Sicherheit kann die Polizei nur dann gewährleisten, wenn die Beamten sich selbst gesichert fühlen.

Im Land Brandenburg fehlen Polizisten im Bereitschaftsdienst. Potsdam hat die alte Regel gebrochen, Polizeianwärter zur Ausbildung sofort zu den kasernierten Truppen zu schicken. Anders als in anderen Bundesländern lernt der Nachwuchs auf der Polizeischule erst den Unterschied zwischen Gefahrenabwehr und Strafverfolgung. Erst danach kommen die jungen Polizisten in den Bereitschaftsdienst. So sind augenblicklich nur vierhundert von vorgesehenen achthundert Stellen bei der Bereitschaftspolizei besetzt. Und das zu einem Zeitpunkt, da es auf gut gerüstete und mobile Einsatzkräfte ankommt. Außerdem hat das Land Brandenburg seine Polizei in den vergangenen zwei Jahren von einst 20.000 Volkspolizisten auf nunmehr 9.200 Mitarbeiter verkleinert. Zwar war die Volkspolizei zu DDR-Zeiten ein aufgeblähter Apparat. Doch heute fehlen Polizisten vor Ort.

Der Landkreis Forst in der Lausitz hat 37.000 EinwohnerInnen. Bei der Zulassungsstelle sind gut 20.000 Fahrzeuge registriert. Aber pro Schicht sind nur zwei Funkstreifenwagen unterwegs. Vier Polizisten haben die Aufgabe, zwei Städte und zwanzig Landgemeinden zu bewachen. Hinzu kommen noch fünfzehn Kilometer grüne Grenze zwischen Polen und der Bundesrepublik. Die Schmugglerpfade sind der Polizei bekannt, aber weder Bundesgrenzschutz noch Polizei können im organisierten Geschäft etwas ausrichten. Zum Observieren fehlt die Zeit.

Auch für die zwanzig Autobahnkilometer sind die Polizisten vom Revier in Forst zuständig, denn in Brandenburg existiert keine Autobahnpolizei. Nicht selten prügeln sich LKW-Fahrer, die einander im Stau überholen wollen oder sich gegenseitig den Weg versperren. Eigentlich müßte dann die Funkstreife die Streithähne auseinanderbringen. Aber um den Zank unter den LWK-Fahrern können sich die Polizisten nicht kümmern. Die Besatzung des Streifenwagens „Forst 1225“ ist voll damit ausgelastet, den rückstauenden Verkehr durch die Stadt zu leiten. Mangels Ausweichmöglichkeiten werden oftmals Transporte mit hochgefährlichen Ladungen, Polyäthylen oder Treibstoffe durch Forst und das angrenzende Wasserschutzgebiet der Lausitz gelotst. Solche Einsätze fürchten Bernd Frank und Mike Weißkopf: „Dort sind viele Schulen im Bereich. Außerdem: Wenn es ausgerechnet im Wasserschutzgebiet zu einem Unfall kommt, dann ist es womöglich aus mit dem Trinkwasser.“

Die Arbeitsbedingungen für Polizisten sind in der Übergangsphase nur schwer zu ertragen. Dienststellenleiter Olaf Fischer und seine Kollegen arbeiten ständig an der Grenze des Zumutbaren. Fischers Wunsch, einen dritten oder gar vierten Funkstreifenwagen pro Schicht zu besetzen, wird noch lange nicht in Erfüllung gehen. Auch eine Fußgängerstreife im Stadtzentrum steht derzeit nicht im Einsatzplan. Die Planstellen fehlen.

Derzeit riskieren ostdeutsche Polizisten auf jeden Fall ihren Ruf: entweder sind sie in der Schule statt am Einsatzort – oder sie sind zur Stelle, dafür aber schlecht ausgebildet. Zwar geben sie sich Mühe, ihren Aufgaben gerecht zu werden, doch noch sitzt das Obrigkeitsdenken fest in den Köpfen. Auch in Forst wartet die untere Dienststelle in aller Regel auf ein Zeichen von oben. Und in der vorgesetzten Behörde harren die Kollegen des Kommandos von noch weiter oben.

Enttäuschung über die nur bedingt funktionierende Hierarchie macht sich nicht nur innerhalb der Polizei breit. Die Beamten vom Polizeirevier in Forst beklagen große Schwierigkeiten mit der Staatsanwaltschaft. Polizeiobermeister Bernd Horschek erzählt von Jugendlichen, gegen die dreißig, mitunter sogar vierzig Anzeigen laufen. Dennoch würde die Justiz mit Hinweis auf die Minderjährigkeit der Täter keine Strafverfolgung einleiten.

Das Klima zwischen Jugendlichen und Polizei wird rauher. „Es gibt welche, die gehen draußen mit Knüppeln auf uns los“, sagt Bernd Horschek. Er und seine Kollegen vom Revier fordern härtere Gesetze gegen Randalierer. Aus dem alten DDR-Strafrecht würden sie eine Regelung wieder einführen: Schnellverfahren gegen Randalierer, die Polizisten angreifen. Damals wurden solche Angriffe nicht unter sechs Monaten Freiheitsstrafe geahndet. Lange könne es mit der Überforderung nicht weitergehen. Polizisten, sagt Bernd Horscheck, könnten doch nicht dauernd Feuerwehr, Sozialarbeiter und Mädchen für alles sein.