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Vernebelter Kern-betr.: "Verrat auf akademisch" von Ekkehart Krippendorff, taz vom 26.10.92, "Stasi-Überprüfung für Profs" von Bernhard Pötter, taz vom 28.10.92

betr.: „Verrat auf akademisch“ von Ekkehart Krippendorf, taz vom 26.10.92, „Stasi-Überprüfung für Profs“ von Bernhard Pötter, taz vom 28.10.92

1.Die [...] schriftlichen Reaktionen auf Krippendorfs taz-Kommentar zum Spionagefall Jacobsen vernebeln den Kern dieses Kommentars, verstellen das Ärgernis des Umgangs mit dem als Spion verdächtigen Jacobsen und lenken vom fragwürdigen Verhalten des Fachbereichs Politikwissenschaft und ausweislich einer Meldung im Tagesspiegel vom 30.10. von den zweifelhaften Ankündigungen des FU-Präsidenten ab.

2.Zum Ärgernis des Umgangs mit dem Spionageverdacht. Obgleich die DDR bekanntlich untergegangen ist; obgleich selbst schwerste Spionage niemandem mehr schaden kann; obgleich Jacobsen nach all dem [...] schlimmstenfalls ein klitzekleines Spionagesilberfischchen gewesen ist, inszeniert die Bundesanwaltschaft eine Aktion der Verhaftung und Überführung nach Karlsruhe, als wäre Gefahr für den Staat im Verzug. Diese Unverhältnismäßigkeit, die offenkundig niemanden erregt, belegt ein vordemokratisch-vormenschliches Staats-Strafrecht, das in der im Kalten Krieg gezeugt-geformten Bundesrepublik anstandslos übernommen worden ist. Die strafrechtliche Formulierung der diversen Spionage- und Landesverratstatbestände wird hingenommen, als handele es sich um eine nicht in Frage zu stellende Wahrheit. Daß die Bundesanwaltschaft so denkt und handelt, versteht sich. Daß alle Geheimdienste sich solcherart legitimieren, gleichfalls. Daß aber liberale (!) DemokratInnen wissenschaftsauf, presseab solche staatsstrafrechtliche Definitionsmacht akzeptieren, zeigt, wie wenig die grundrechtlichen Grundlagen gerade des (politischen) Strafrechts bedacht werden.

3.Weil mich der Zorn über die Unverhältnismäßigkeit der Verhaftungsaktion erfüllte und weil ich deswegen den „kleinen“ Jaocobsen bedauerte, habe ich den Kommentar meines Kollegen und Freundes Krippendorf im Zeitpunkt seiner Publikation für verfehlt gehalten. In der Zwischenzeit, auch nach etlichen Ebenhausener Leserbriefen, die einen Lapsus Krippendorfs korrigieren, ansonsten jedoch seine Thesen im Kern bestätigen, ist es an der Zeit, Krippendorfs Kommentar in diesem Kern um (selbstverständlich kritischer) Wissenschaft willen zu „retten“. WissenschaftlerInnen, so Krippendorfs treffliches Zentralargument, überschreiten den Rubikon zur herrschaftlich fungiblen instrumentellen Vernunft, wenn nicht all das, was sie tun, radikal öffentlich ist. Sobald sie, unbeschadet allen Engagements, ihre notwendige Distanz zu etablierten, vor allem politischen und ökonomischen Institutionen aufgeben, sobald sie beratend und zuarbeitend in den Ohrensesseln (angeblich) Mächtiger und Geldstarker zu sitzen vorziehen, haben sie ihr wissenschaftliches Erstgeburtsrecht kritisch-unruhestiftender Vernunft zugunsten eines speckdurchsetzten Linsengerichts herrschaftsbanaler Forschung und Beratung aufgegeben. Nicht nur SozialwissenschaftlerInnen, auch NaturwissenschaftlerInnen und, Humboldt sei's geklagt, ganze Universitäten verstoßen gegen diese Grundsätze. Wieweit Jacobsen zu dieser nonscientific community zählt(e), vermag ich selbst nicht zu beurteilen. An seinem „Fall“ lassen sich aber Krippendorfs Argumente illustrieren.

4.Die fast geschlossene Reaktion der beamteten bzw. habilitierten PolitikwissenschaftlerInnen des OSI, mich selbst eingeschlossen, ist falsch (einige Ausnahmen seien positiv hervorgehoben). Vom Fachbereich soll Schaden abgewendet werden. Diese akzeptable Absicht bildete den zusammenschweißenden Konsens. Er hat auch meine sofort geäußerten grundsätzlichen Bedenken kurzfristig und opportunistisch einlullen lassen. Diesen Schaden versuch(t)en wir nämlich dadurch zu vermeiden, daß wir weit über das OSI hinaus in Gefahr geraten, größeren Schaden zu stiften. Durch die Dekanin, Frau Schwan, haben wir am Montag den 26.Oktober erklärt, wir alle, weit über 40 HochschullehrerInnen, böten uns selbst der Gauck-Behörde zur Überprüfung an. Damit die weiße Weste der Politikwissenschaft brustwölbend demonstriert werde. Wir taten bzw. tun dies, indem wir erhebliche Vorbehalte gegenüber einer solchen selbst herbeigeführten Überprüfung äußerten. Ohne diese nachdrücklich geäußerten, auch von Frau Schwan in ihrer Erklärung prominent formulierten Vorbehalte, hätte ich mich nicht ein Stück selbst verleugnen lassen (diese Bemerkung gilt gewiß auch für andere, die sich bereit erklärt haben, mitzumachen). Vorbehalte, als da sind: Wir, jedenfalls ich, lehnen Geheimdienste als Mittel der Innenpolitik generell ab; wir, jedenfalls ich, lehnen grundrechtsentsprechend jegliche Art von politischer Überprüfung, und zwar nicht allein im Umkreis der Universitäten, ab (wobei der Politikbegriff hier ein „extremistisch“ weiter ist); wir, jedenfalls ich, sind zwar dafür, daß die Stasi-Akten vor allem für die potentiellen Stasi- Opfer und diejenigen, die als Stasi- Informanten in Verruf geraten, erhalten werden und zugänglich sind. Diese Stasi-„Erkenntnisse“ besitzen aber keinen besonderen „Wahrheitswert“ ohne genaue Überprüfung und die Beachtung des Kontextes. Diese Stasi-„Erkenntnisse“ (ich benutze hier das Verfassungsschutz-Deutsch) dürfen auch in keinem Fall einen automatischen diskriminierenden Effekt zeitigen, gar die Entlassung aus dem Beruf bewirken; wir, jedenfalls ich, haben es nicht nötig, uns unsere ohnehin selbstverständliche geheimdienstliche „Unschuld“ aus den Akten eines Geheimdienstes bestätigen zu lassen. Sobald man anhebt, demokratisch und wissenschaftlich in die „Schule des (Verrats-)Verdachts“ zu gehen, hört aller zivile demokratische Konflikt auf. Schließlich: Wir, jedenfalls ich, wollen durch unser vorpreschendes Beispiel auf keinen Fall auch nur den geringsten Druck auf andere ausüben, sich ähnlich zu verhalten wie wir.

Die oben genannte Meldung des Tagesspiegel, die eine Äußerung des Präsidenten der Freien(!) Universität Berlin wiedergibt, zeigt, ihre Korrektheit unterstellt, wie wenig unsere oder meine Vorbehalte zählen, wenn's darauf ankommt. Dieser Meldung zufolge hat Herr Gerlach angekündigt, er werde, wiederhole sich ein solcher Spionage-(verdachts-)Fall – und er richtete diese Äußerung an die Adresse des OSI, als ob NaturwissenschaftlerInnen „naturgemäß“ weniger in Gefahr gerieten, ihre Wissenschaft zu „verraten“ (Krippendorf) –, eine Überprüfung der gesamten FU anzetteln. Ich will hier nicht erörtern, ob ein Universitätspräsident zu einer solchen, Hunderte von unbescholtenen Personen umfassenden Anzeige rechtlich in der Lage wäre. Ich meine: nein. Doch allein die geäußerte Absicht demonstriert, wie rasch wir alle wieder ins Fahrwasser des Berufsverbots und der Regelanfrage bei der (verblichenen) Stasi und/oder beim nun gesamtdeutsch expandierten grundrechtswidrigen und kropfunnötigen Verfassungsschutz landen. Wir dachten doch gerade noch in erneuerter Naivität, da der Kalte Krieg zu Ende sei, müsse es auch mit dem „Jahrhundert des Verratsverdachts“ (Margret Boveri leicht ergänzt) sein Ende haben. Mein Fehlverhalten vor acht Tagen kann ich nicht zurücknehmen. Die selbstreflexive Ohrfeige sitzt. Vielleicht kann ich aber mit dazu beitragen, daß nicht noch größerer Schaden an den Grund- und Menschenrechten, an der Wissenschaft, auch an der Politikwissenschaft und an denjenigen, die sie lehrend und lernend betreiben, geübt werde. Wolf-Dieter Narr, Berlin

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