: „Kein dauerhafter Schaden“
■ Dublin war 1991 „Kulturhauptstadt Europas“/ Der Kultur-Journalist Fintan O'Toole zieht Bilanz: Zum Glück haben die Dubliner ihr „Kulturjahr“ schnell vergessen
taz: Seit 1986 ernennt die EG jedes Jahr eine „Kulturhauptstadt Europas“. 1991 war dies Dublin. Was hat der Titel für die Stadt gebracht?
Fintan O'Toole: Das Gute an Dublin ist die Spontaneität der Bevölkerung. Die Stadt wird ständig zur Bühne, auf der die Einwohner irgendwelche Sporthelden empfangen, gegen Ungerechtigkeiten protestieren oder für höhere Löhne demonstrieren. Vor allem aber können sie sich selbst feiern und als Menschenmasse mit einem gemeinsamen Ziel die Stadt, die Gebäude, den Verkehr vorübergehend unter ihre Kontrolle bringen. Das kann man natürlich als Karneval abtun, aber man darf nicht vergessen, daß der Karneval-Impuls einer der wichtigsten und dauerhaftesten Aspekte aller urbanen Kulturen ist.
Von diesem Impuls war aber während des Kulturjahres wenig zu spüren. Lag es am Geld?
Die Probleme waren nicht mangelndes Geld oder fehlende Werbung, sondern die Tatsache, daß die Ereignisse der Bevölkerung gar keinen Anlaß boten, ihre Spontaneität zu zeigen. Es ist ein falscher Ansatz, zu vergleichen, wieviel Geld Dublin 1991 zur Verfügung hatte im Gegensatz zu Glasgow 1990. In Glasgow, wo soviel Geld für sowenig Sichtbares ausgegeben wurde, ist ein bitterer Nachgeschmack zurückgeblieben. In Dublin war das Kulturhauptstadtjahr schnell vergessen – es gab nicht genügend Geld, um nachhaltigen Schaden anzurichten. Das Problem in Dublin war nicht die Größe des Budgets, sondern daß ein viel zu großer Anteil davon von Sponsoren aus der Wirtschaft stammte. Und den Firmen war es natürlich wichtiger, mit Prestige- Ereignissen ihr Image aufzubessern, statt etwas für den Alltag der Bewohner zu tun. Das ist meine zentrale Kritik an dem Kulturjahr: Es ist nicht gelungen, die einfachen BewohnerInnen der Stadt miteinzubeziehen.
Was kann man als Fazit ziehen, um diese Fehler in Zukunft zu vermeiden?
Das Kulturhauptstadtjahr ist ein klassisches Beispiel dafür, wie in Irland Entscheidungen getroffen werden: Die Regierung hebt bei einer EG-Sitzung die Hand, und Dublin ist Kulturhauptstadt. Die Politiker übertragen die Durchführung dann einer Privatfirma, die viel zu spät gegründet wird, stecken ihr ein paar Lottogelder zu und erklären, den Rest müsse die Stadt sich von Sponsoren holen. Das ist eine tödliche Kombination aus halbgarer Privatisierung und bürokratischer Trägheit. Die Kluft zwischen diesem kommerziell-bürokratischen Ungeheuer und der Fähigkeit der DublinerInnen, spontan eine Atmosphäre von Festlichkeit und Karneval zu schaffen, ist typisch für die gesamte irische Gesellschaft: Einem phantasievollen, großzügigen und liebenswürdigen Volk gelingt es nicht, die Strukturen zu schaffen, damit diese Qualitäten zum Tragen kommen. Und dabei ist es unwichtig, ob Dublin 4 oder 400 Millionen Pfund zur Verfügung hatte.
Ralf Sotscheck
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