Feudaler Zucker, liberaler Tabak

Vom Kuba-Klassiker unter den Reiseführern bis zum Querschnitt über moderne kubanische Literatur. Eine Besprechung der gängigen Kuba-Reiseliteratur  ■ Von Bert Hoffmann

Mit aufgeblähten Wangen bläst der schwarze Musiker in die abgegriffene, alte Trompete — Karibik-Feeling pur. Kuba. Doch das Bild auf dem Rückumschlag des „Cuba-Reisebuchs“ von Wilfried Huismann und Hans Jürgen Kröger ist nicht in einem Nachtclub in Havanna entstanden. Das Impressum sorgt für Ernüchterung: Foto auf der Rückseite: „Lauter Blech“ (Bremer Band). Ein Reiseführer, der zum Zuhausebleiben einlädt? Nein, dazu ist in den Texten einfach zu viel Sympathie für dieses Land und seine Menschen zu fühlen. Schon die fünf Personenporträts am Anfang, mit denen das Reisebuch den Lesern das alltägliche Kuba präsentiert, zeichnen ein buntes Bild „der Kubaner“.

Das erstmals 1985 und dann in einer gut überarbeiteten Neuausgabe 1989 im Hamburger VSA- Verlag erschienene „Cuba-Reisebuch“ ist wohl schon fast der Klassiker der neueren Kuba-Reiseführer — und das verdientermaßen. Der erste Teil gibt einen differenzierten Einblick in das Land, wo neben dem Aufsatz über das Gesundheitssystem „nach dem Vorbild Ches“ auch über die „gauweilernde Aids-Politik“ geschrieben wird, wo die sozialen Fortschritte seit der Revolution nachvollziehbar gemacht und die Diskriminierung der Schwulen beschrieben werden. Vor allem in den Artikeln von Wilfried Huismann werden viele der heutigen Probleme und Konflikte in Kuba erkennbar, die nicht durch den Zusammenbruch Osteuropas aus dem Himmel gefallen, sondern dadurch nur dramatisch verschärft worden sind.

Die Stärke des „Cuba-Reisebuchs“ liegt aber auch in dem übersichtlichen und gut lesbaren zweiten Teil: Auf rund hundert Seiten führt dort Reinhard Aehnelt zu den Reisezielen des Landes und gibt praktische Tips und Informationen. Das Buch will damit auch zu der „mühsamsten Art zu Reisen“ ermuntern, dem individuellen Entdecken der Insel. In den drei Jahren seit Erscheinen des Buches hat die schwere Transport- und Versorgungskrise Kubas dies außerhalb von Havanna allerdings zu einer nervenaufreibenden Strapaze werden lassen, für die neben soliden Spanischkenntnissen weit mehr als die übliche Portion „karibische Geduld“ erforderlich ist. Die größte Schwäche des Buches ist seine klägliche Klebebindung: Bereits nach einmaligem Lesen hält man nur noch eine Lose-Blatt- Sammlung in der Hand.

Nicht viel anders ergeht es einem auch bei dem „Cuba LänderBilderLeseBuch“ der ElefantenPress — nur daß dieses die Vorzüge des Reisebuchs von Huismann und Kröger nicht teilt. Da geht der Artikel über El Che — Held, Idol, Legende auf vier Seiten der brennenden Frage nach: Wer waren die Frauen, die er liebte? Und die Zwischentitel antworten: Celia, Chichina, Hilda, Aleida, Tania. Einige gute, auch heute noch lesenswerte Artikel und daneben einiges an Kitsch und Pathos, das auch schon in der Erstausgabe 1987 schwerverdaulich war. Nicht DIN-A-4-groß und schwarzweiß wie von ElefantenPress, sondern im Kleinformat und mit strahlenden Farbfotos kommt das Kuba- Buch von Horst-Eckart Gross und Ralf Müller aus der Reihe der „bibliophilen Taschenbücher“ daher. Es ist eher ein schönes Verschenk- und Souvenir-Buch als eine Einführung in das Land. Zumeist recht kurze Textpassagen von Christoph Columbus, Fidel Castro, José Marti, Ernest Hemingway und anderen „kubanischen“ Größen sind eher edle Mosaiksteinchen, als daß sie einen Überblick geben wollen. Gut gelungen sind dabei die Abschnitte über Tabak und Zucker, „die wichtigsten Personen in der Geschichte Kubas“, wie der kubanische Sozialwissenschaftler Fernando Ortiz vor einem halben Jahrhundert schrieb. „Zuckerrohr und Tabak sind ein einziger Gegensatz“ — von den biologischen Grundlagen der Pflanzen bis zu ihren Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft. Die Fotos zeigen es. Der Anbau des Tabaks bringt kleine Felder und unabhängige Bauern hervor, der des Zuckerrohrs riesige Plantagen und Großgrundbesitzer. „Der Tabak ist liberal, wenn nicht sogar revolutionär; der Zucker ist konservativ, wenn nicht gar absolutistisch“, schreibt Ortiz: „Tabak und Zucker — das sind Freiheit und Sklaverei, das sind Unabhängigkeit und Kolonisierung.“

Um diese lange Geschichte Kubas vom Widerstand des Indianerkaziken Hatuey gegen die Spanier bis heute geht es auch in dem „20mal Kuba“-Buch von Frank Niess, das bei Piper erschienen ist. Es will „eine Mischung aus historischem Porträt, soziologischen Skizzen, biographischen Notizen und journalistischen Momentaufnahmen“ sein — eine Mixtur, die dem Autor manchmal besser und manchmal schlechter gelingt. Insgesamt jedoch ist es ein Buch, das auf 400 Seiten einen gut lesbaren Gang durch die historische Entwicklung der kleinen Karibikinsel im Hinterhof der USA bietet.

Einen literarischen Zugang bieten die „Geschichten aus der Geschichte Kubas“ der Sammlung Luchterhand. Ganz unpathetisch vereint sich darin die in zwei Teile gespaltene Literatur des Landes: „das Exil“ und „die Dagebliebenen“. Denn wo das revolutionäre Kuba ein wichtiges kulturelles Zentrum Lateinamerikas war, wurde vielfach übersehen, wie konfliktiv die Beziehung Castros zu den Künstlern des Landes selbst war. In seinen berühmten „Worten an die Intellektuellen“ hatte der Comandante 1961 zum Prinzip erhoben, daß „wir das literarische Werk immer durch das Prisma der Revolution beurteilen werden“. Die von José Antonio Friedl Zapata herausgegebene Anthologie nun schaut durch das Prisma der Literatur; und sie findet so in den Texten von Guillermo Cabrera Infante und Miguel Barnet, Heberto Padilla und Alejo Carpentier, Jesús Diaz und zehn weiteren Schriftstellern einen überzeugenden Querschnitt durch die moderne kubanische Literatur — ob die Autoren heute in London oder Havanna, in New York oder Berlin leben. Als die „Geschichten aus der Geschichte Kubas“ vor anderthalb Jahren veröffentlicht wurden, war Jesús Diaz, wie die biographische Notiz am Ende des Buches vermerkt, „einer der wenigen bedeutenden Schriftsteller Kubas, die noch auf der Insel leben und aktiv an dem kulturellen Geschehen teilnehmen“. Inzwischen haben die Mächtigen in Havanna auch ihn ins Exil, verwiesen. In dem Sammelband ist seine siebeneinhalb Seiten kurze Geschichte „Der Lahme“ zu lesen. Aber auch sein großer Roman „Die Initialen der Erde“ liegt auf deutsch vor. Wem die Originalausgabe von Piper zu teuer ist und wer nicht auf die für März angekündigte Taschenbuchfassung warten will, der kann auf die so preiswerte wie solide Hardcover-Ausgabe des Aufbau-Verlags zurückgreifen, 1990 Printed in the German Democratic Republic.

Wilfried Huismann/Hans Jürgen Kröger (Hg.): „Cuba – Ein Reisebuch“. VSA 1989. 291 S., 32 DM

Dorothea Boyer, Rüdiger Liedtke, Günter Mletzko: „Cuba. LänderBilderLeseBuch“; ElefantenPress 1987, 127 Seiten, 26,80 DM

Horst-Eckart Gross/Ralf Müller: „Kuba – Insel im Umbruch“.

Die bibliophilen Taschenbücher,

harenberg Edition 1989.

152 Seiten 24,80 DM

Frank Niess: „20mal Kuba“.

Piper 1991. 400 Seiten, 26,80 DM

J.A. Friedl Zapata: „Geschichten aus der Geschichte Kubas“. Sammlung Luchterhand 1990.

231 Seiten, 16,80 DM

Jesús Diaz: „Die Initialen der Erde“. Piper 1988. 44 DM.

Aufbau-Verlag (DDR) 1990, 513 Seiten, 16,80 DM