Aus dem Westen nichts Neues

Das Museum of Modern Art überwintert in Bonn  ■ Von Stefan Koldehoff

Die allgemeine wirtschaftliche Rezession geht auch an den amerikanischen Museen nicht spurlos vorbei. Waren sie noch bis vor kurzer Zeit die finanziell bestausgestatteten der Welt, so müssen sich auch die Kunsthäuser in den USA inzwischen Gedanken machen, wie sie die laufenden Kosten noch decken und neue Investitionen tätigen können. Immer mehr US- Museen entschließen sich deshalb zum Tingeln: 1988 präsentierte sich die Philipps Collection aus Washington in Frankfurt, zwei Jahre später gastierte das Guggenheim-Museum in Venedig, 1993 schließlich wird die bislang wie ein Staatsschatz gehütete Barnes- Foundation in Paris und Tokyo touren, um nichts als Geld zu verdienen. Ehre haben diese Sammlungen mehr als genug.

Inoffizielle Gebühr

Geld braucht auch das Museum of Modern Art (MoMA) in New York dringend: Rund 4 Millionen Dollar kostet allein die umfangreiche Matisse-Retrospektive, die zur Zeit an der 11 West 53rd Street endlose BesucherInnenströme anlockt – viel Geld für ein Haus, das immer noch vor allem von privaten Geldgebern getragen wird. Einen Teil der Kosten kann das Museum jetzt mit deutscher Hilfe bestreiten: Noch bis zum 10. Januar 1993 sind 70 Meisterwerke aus New York in der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland in Bonn zu sehen. Eine offizielle Leihgebühr hat der Bund dafür nicht gezahlt. Tatsächlich aber wurden dem MoMA Organisations- und Transportkosten, die Mitarbeit am Katalog und die gesamte Begleitung des Projekts großzügig mit 3,5 Millionen Mark vergütet. Kein anderes deutsches Museum könnte sich einen solchen Transfer leisten. An Stelle einer zu teuren Versicherung übernahm der Bund außerdem eine Schutzgarantie in Milliardenhöhe für den Schadensfall.

Das Qualitätssiegel „Meisterwerk“ hat seit den explodierenden Kunstmarktpreisen Ende der achtziger Jahre eine Inflation sondergleichen erlebt und wurde zweck- optimistisch auch den Leinwänden zu Verkaufszwecken aufgepappt, die in den schwächsten Stunden ihrer Maler entstanden. Auf den 70 Bildern, die jetzt über den großen Teich gekommen sind, darf es trotzdem getrost kleben bleiben. Zwar sind aus konservatorischen Gründen Highlights wie van Goghs „Sternennacht“ (noch 1990 in Amsterdam zu sehen) oder die berühmten „Demoiselles d'Avignon“ von Pablo Picasso (1988 nach Paris ausgeliehen) in New York geblieben; von anderen Ikonen der klassischen Moderne aber trennte sich das Museum of Modern Art für drei Monate. Seinen Kuratoren kam dabei gelegen, daß sie, um Platz für das Matisse-Spektakel zu schaffen, ohnehin große Teile der eigenen Sammlung abhängen mußten.

Kategorie Meisterwerk

In der großen Halle des pompösen Bonner Peichl-Baus können die meist großformatigen Bilder nun atmen. Chronologisch und nach bekannten kunsthistorischen Sinnzusammenhängen gehängt, vermitteln sie im Schnelldurchgang die Geschichte der modernen Kunst im 20. Jahrhundert. Beginnend bei deren europäischen Urvätern Gauguin, van Gogh, Toulouse-Lautrec und Cézanne entwickelt sie sich über den Kubismus (Braque, Gris, Picasso), Futurismus (Boccioni, Balla, Carrà), Expressionismus und Surrealismus (Magritte, Dali, Ernst, Oppenheim) bis hin zum amerikanischen Beitrag zur Neuzeit durch Hopper, Newman, de Kooning und Pollock. Erfreulich ausführlich ist dabei die Geschichte der einzelnen Bilder dokumentiert: Wer weiß, daß Max Beckmanns deutlich auf die politischen Zustände in seinem Vaterland Bezug nehmendes Triptychon „Abfahrt“ von 1932/33 im Jahr 1942 als „anonyme Schenkung (im Tausch)“ nach Amerika kam, mag sich die Begleitumstände dieser Bildemigration vor Augen führen. Um die Nationalsozialisten von der politischen Aussage seines Bildes abzulenken, hatte Beckmann auf die Rückseite der drei Leinwände Shakespeare-Zitate geschrieben: Die Tafeln sollten wie unverfängliche Illustrationen zu einem der Königsdramen scheinen. Ohnehin scheinen die Bonner AusstellungsorganisatorInnen erkannt zu haben, was sie mit dieser Ausstellung nicht leisten können: Der teure Bilderimport bringt keine neue und auch keine qualitativ höherwertige Kunst nach Deutschland als die, die in den hiesigen Museen auch zu finden wäre. Allein in der näheren Umgebung Bonns besitzt das Folkwang-Museum in Essen einen wichtigeren als den New Yorker Cézanne und gleich vier bedeutende Gemälde van Goghs. Mit der Picasso-Nische des MoMA kann die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen mühelos mithalten. Kunsthistorisch sind also neue Erkenntnisse nicht zu erwarten.

Sinn macht die Bonner Ausstellung nur dann, wenn sie tatsächlich versucht, die soziale Bedeutung des Mediums Museum mit Hilfe der großen Schwester aus New York wiederzuentdecken und neue Wege in der Kunstvermittlung zu gehen. Denn ebenso bedeutend wie seine Sammlung ist die Geschichte des „Museum of Modern Art“, das 1929 nicht von seinem legendären ersten Direktor Alfred H. Barr, sondern von drei engagierten Frauen gegründet wurde. Sie bewunderten den interdisziplinären demokratischen Ansatz des Weimarer Bauhauses und entschlossen sich, obwohl noch nicht einmal ein Drittel davon vergangen war, mit gleichem Ansatz die Kunst des 20. Jahrhunderts zu dokumentieren.

Sammlerinnen-Bauhaus

Diesen bis heute in New York immer nach Kräften hochgehaltenen Grundsatz auch in Deutschland zu vermitteln, gelingt in Bonn trotz vielfachen Bemühens nur im Ansatz. An sechs Tagen im November und Dezember laufen Filme aus und über New York aus dem Archiv des Museum of Modern Art. In der Ausstellung bietet ein discman zu 19 Bildern der Sammlung kongeniale Musik an. Vor Chagalls russischem Dorfbild „Über Witebsk“ etwa ertönt aus den Ohrhörern jüdische Klezmer-Musik, polynesische Gesänge untermalen Gauguins Südsee-Mythos „Der Mond und die Erde“. Fugen von Johann Sebastian Bach begleiten das sich ebenfalls immer wieder selbst aufnehmende Bild „Der erste Schritt“ von Frantisek Kupka und Jazz von Pat Metheny die ätherische Komposition „Rot und Gold“ von Mark Rothko. Der Schritt zum Miteinander von cineastischer, akustischer und bildender Kunst ist damit zumindest formal nachvollzogen. Museumsgemäß muß aber auch dieser Schritt ein passiv rezipierender sein. Was letztlich vom Winterschlaf des MoMA in Bonn bleiben wird, kann nicht viel mehr als das große Staunen über berühmte Bilder sein.

Von Cézanne bis Pollock – The Museum of Modern Art, New York, Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn, bis 10. Januar. Katalog: 184 Seiten mit 70 Farbabbildungen, Verlag Gerd Hatje, Stuttgart. In der Ausstellungshalle 45 Mark