Die Welt in die Angeln heben

■ Zwei neue Bücher aus England und Frankreich zum Thema

Misha Glenny ist BBC-Korrespondent für Jugoslawien. Im Mai dieses Jahres verließ er Sarajevo. Sein Bericht beginnt im Sommer 1990. Ein äußerst widersprüchliches Buch. An diesem Krieg trage die Außenpolitik Genschers ein gerüttelt Maß Schuld, schreibt er. Denn die Anerkennung Kroatiens und Sloweniens ließ Bosnien keine andere Wahl, als sich ebenfalls von Jugoslawien zu verabschieden, und dies konnte nur Krieg bedeuten. Es zeuge von einem Höchstmaß an Wunschdenken, zu glauben, die Anerkennung, zu der sich Briten und Amerikaner von Deutschland hätten mitreißen lassen, würde die Serben davon abhalten, Krieg zu führen. Der durchtriebene, typisch „balkanische“ Politiker Milošević habe seit 1986 konsequent nur zwei Alternativen im Auge gehabt: entweder die Vormachtstellung Serbiens im Einheitsstaat oder Großserbien, das heißt Krieg. Andererseits trage auch Slowenien wegen seines entschlossenen Unabhängigkeitskurses eine gewisse Schuld am Krieg in Kroatien.

Welcher Art ist dieser Krieg: Religionskrieg, ethnischer Krieg, nationalistischer Krieg? Eindeutig letzteres, dem Verfasser zufolge. Und dann das implizite andererseits, mehrfach. Es sei auch ein Krieg von Stadt gegen Land, wie es insbesondere die Demonstrationen im März 1991 in Belgrad gezeigt hätten. Und doch nicht auch ethnisch? Das Buch beginnt mit der serbischen Rebellion in Knin. Überschrift: Der Kern der Sache. Die serbischen Enklaven in Knin und der Krajina, die Milizen (die straža), der Führer Milan Babić, seine Leibwächter, die Bewohner — was vermittelt Glenny denn anders als das Bild von Stammeskriegern, für die ein Mann ohne Gewehr eben keiner ist. Gleiches gilt für die mehrheitlich von Kroaten besiedelte West-Herzegowina, in der nach Aussage eines Einwohners nur drei Dinge wüchsen: Schlangen, Steine und Ustaschas.

Bei soviel Widersprüchlichkeiten müßte man das Buch als mißlungen bezeichnen. Doch man spürt, wie der Verfasser aus Verzweiflung vor diesen unfaßbaren Grausamkeiten nach einem Schuldigen schreit. Wie ihn die journalistische Neutralität bewegt, sie in beiden Lagern dingfest zu machen, was ihm mehr schlecht als recht gelingt. Man spürt, wie der Autor den Punkt finden möchte, an den man den Hebel anzusetzen hätte, um diese aus den Fugen geratene Welt wieder in die Angeln zu heben.

Paul Garde ist emeritierter Slavistik-Professor der Université de Provence. Sein Buch versteht sich als dringend notwendige Korrektur der typisch französischen, jakobinischen, zentralistischen Wahrnehmung der Franzosen. Für die Franzosen ist Jugoslawien zuallererst und nahezu ausschließlich Belgrad.

Im ersten Teil wird ein Abriß der Geschichte der verschiedenen Regionen vom Mittelalter bis zu Tito geboten. Im zweiten Teil werden die nationalen, sprachlichen, religiösen Unterschiede unter die Lupe genommen und die einzelnen Republiken geographisch, demographisch und ökonomisch vorgestellt. Der dritte Teil behandelt ausführlich die Krise von 1986 bis Februar 1992. Für Paul Garde unterliegt es keinem Zweifel, daß der serbischen Politik, wie sie seit 1986 von Milošević geführt wird, die Hauptschuld, ja fast die alleinige Schuld gegeben werden muß.

Im Gegensatz zu Misha Glenny glaubt Paul Garde, daß eine frühere Anerkennung Kroatiens und Sloweniens viel Blutvergießen vermieden hätte. Darüber kann gestritten werden. Robert Detobel

Glenny, Misha, „The Fall Of Yugoslavia“, Penguin Books, London 1992, 194 Seiten

Garde, Paul, „Vie et Mort de la Yougoslavie“, Fayard, Paris 1992, 444 Seiten