: Von Begräbnis zu Begräbnis
■ Becketts Saison: In Basel verabschiedet sich ein Schauspiel, während seine Ermordung geprobt wird
Unter Basels Theater liegen Zivilschutzräume, Katastrophenräumlichkeiten, die zur Zeit von merkwürdigen Männern bevölkert werden. Sie stehen in den Gängen, eng an die Wände gedrückt, und schreiben Zahlenkolonnen. Daß sie so dastehen, hat mit der ersten Inszenierung eines Beckett-Projektes zu tun, in dem die unterschiedlichen Regisseure der zurückliegenden Jahre einer erfolgreichen Basler Schauspielära sich den kurzen Beckettmonologen nähern. Für Chefdramaturg Wilfried Schultz, der mit Intendant Frank Baumbauer ab nächster Spielzeit die Leitung des Hamburger Schauspielhauses übernehmen wird, ist dieses Mammutprojekt (am Ende werden alle Inszenierungen gebündelt gezeigt, so daß man zum ersten Mal den größten Teil der Monologe zusammen sehen kann) eine abschließende Selbstreflexion der Basler Theatermannschaft: „Uns interessierte der gemeinsame Punkt all der unterschiedlichen Regietemperamente, die in den letzten Jahren bei uns arbeiteten. Und wo könnte man den besser finden als bei Beckett, dem größten Minimalisten unseres Jahrhunderts mit den weitreichendsten und radikalsten Weltentwürfen.“
Zur Eröffnung der Reihe hat der junge Regisseur Christoph Marthaler „Ein Stück Monolog“ inszeniert, ein knapper Text, für den Beckett wie gewöhnlich einen Sprecher, diffuses Licht und eine monotone Stimme vorgab. In Basel und bei Christoph Marthaler, der schon häufiger mit außergewöhnlichen Inszenierungen auffiel und eine besondere Begabung hat, Eidgenossen im Nerv zu treffen, geht es nicht so reduziert zu. Auf seinem Irrweg unter dem Theater schwirren Satzfetzen aus Becketts Monolog durch die Luft einer Katastrophenwelt, als sei man in Dantes Göttliche Komödie abgestiegen, in einen der letzten Höllenkreise, wo irgendwo auch der ironische Skeptiker Belacqua sitzt und sich totlacht.
Vorbei an Einwegklos geht es und an zwei Schauspielern, die bekleidet unter Dekontaminierungsduschen stehen. Etwas weiter sitzt Krapp, vor sich das Tonband, das er schon längst nicht mehr abhört, sondern abwickelt. An einer dicken Zivilschutztür steht Clovs „Endspiel“-Satz „Ich liebe die Ordnung, sie ist mein Traum“ – und dann ist man vor dem überdimensionalen Aufzug angelangt, der normalerweise Kulissenteile auf die Bühne befördert und in dem jetzt vier Schauspieler autistisch ihr Gesicht an die Stahlwände lehnen oder in besseren Minuten zu whiskeygelockertem Gesang zusammenfinden.
Beckett hat zu Lebzeiten streng darüber gewacht, daß seine Reduktionsvorgaben eingehalten werden. Zur Uraufführung von „Nicht Ich“ etwa sollte die Schauspielerin Jessica Tandy tatsächlich festschnallt werden, damit sie nur noch den Mund bewegen kann, und Beckett schrieb, sie solle ihren Mund als ein „Ausgabeorgan ohne Intellekt“ betrachten. 1972 war das, in Basel wird „Nicht Ich“ Anfang nächsten Jahres inszeniert. Christoph Marthaler zeigt schon jetzt, wie man gelöst mit Beckett umgehen kann, ohne sein Grau farbig aufzupeppen. Zwei der Schauspieler im Aufzug sprechen „Ein Stück Monolog“ nicht so monoton, wie es sich strenge Beckettianer ansonsten auferlegen, wogegen nichts einzuwenden ist. Denn wenn man die Texte nur als extreme ästhetische Kalkulationen versteht, überhört man das Lachen, das über allem hallt, und übersieht einen gewichtigen Grund, warum bei Beckett immer weiter gesprochen werden muß. Daß die Krone der Schöpfung seine Artikulationsorgane selbst bei abgeschaltetem Verstand pausenlos in Gang halten kann, amüsierte Beckett – Christoph Marthaler akzentuiert es, wenn er abschließend dessen letzten Prosatext „Immer noch nicht mehr“ präsentiert. Graham F. Valentine liest ihn und steht zwischen den Kapiteln auf, um unvermittelt mit seiner Countertenorstimme „No thirst no more“ irgendwo zwischen Kirchen- und Trinklied anzusiedeln. Beckett hatte Zeit seines Lebens nichts gegen Whiskeydurst.
Jetzt zu Beginn des Beckett- Projekts geht es Schlag auf Schlag. Kurz nach „Ein Stück Monolog“ hat Stefan Müller sich „Damals“ vorgenommen, einer der wenigen Texte, die es leicht machen, autobiographische Bezüge entdecken zu wollen. Auch hier hat Beckett einen weißhaarigen Alten vorgegeben, allerdings nicht als Sprecher, sondern als Hörer, der auf drei Stimmen reagiert. Wie Marthaler vervielfältigt auch Müller die Bühnenfigur, seine vier Hörer sitzen an einem großen Tisch und wirken wie Marionetten am Stimmfaden, wie Lauscher, einzeln oder als Gesamtkörper von der eigenen Erinnerung choreographiert. Müller hat die drei Stimmen aus den Lautsprechern atmosphärisch klar getrennt: Eine klingt, als wolle sie sich selbst befragen, die andere als sich selbst attackierende, die dritte als sich selbst vergewissernde.
Müllers Inszenierung bewegte sich wieder auf gewohnterem Beckett-Terrain – während der Premiere allerdings wurde im Foyer des Basler Theaters ein ganz anderes Terrain betreten, für das der Titel des Basler Projekts „End- Spiele“ wie eine Überschrift wirkt. Basels Kulturschaffende saßen zu einer Podiumsdiskussion zusammen, da in der Nordschweiz der Theatermord geprobt wird. Die katastrophale Situation der Kantonalfinanzen soll durch eine 30-Prozent-Kürzung der Theaterzuschüsse gemildert werden, eine Größenordnung, bei der man zum Beispiel das gesamte technische Personal entlassen müßte. Das geht natürlich nicht, also denkt man an die Schließung der Komödie (die wichtigste Spielstätte des Schauspiels), und auch das Ballett (eines der Basler Aushängeschilder) soll wohl Opfer der Theatervernichtung werden.
Gut getimt geschieht das, mitten im bevorstehenden Führungswechsel. Die sich verabschiedende Mannschaft um Intendant Baumbauer allerdings handelt nicht nach dem Motto „Nach mir die Sintflut“, sondern macht mit Diskussionsforen, Unterschriftensammlungen und Aufrufen Front. Basel, die Stadt, in der weiterhin eines der höchsten Pro-Kopf-Einkommen der Welt erzielt wird, hat sich bisher ein Kulturangebot mit großstädtischer Ausstrahlung geleistet und besitzt das größte Mehrspartentheater der Schweiz. Jetzt, da die Ausläufer eines Rezensionstiefs selbst die Alpenrepublik streifen, soll die Kultur normgerecht gestutzt werden. Daß dies ein Vorbote des Wandels ist, den man in Deutschland schon in aller Offenheit sieht – in Baden-Württemberg zum Beispiel sollen die Landeszuschüsse an die Theater eingefroren und gekürzt werden – und der in Spielstättenschließung (Stuttgart) und Spartenstreichung (Eisenach) endet: Die Politik entläßt sich gerade selbst aus ihrer Kulturverantwortung, und während dieses Rückzugs, so sieht es aus, sollen auch gleich die Inhalte eines bewegten und bewegenden Theaters kanalisiert werden. In Basel jedenfalls hat man sich einen neuen Intendanten geholt, der lieber nicht in den Ring steigt, wenn es um sein Theater geht. Wolfgang Zörner war Theaterdirektor in St. Gallen und Bern, blickt auf eine mehrjährige Theaterpause zurück und hat gerade in einem Interview flau darauf reagiert, daß man ihm noch vor Amtsantritt das Wasser abgräbt. Aber vielleicht ist er ja gar nicht durstig? – „Von Begräbnis zu Begräbnis“ heißt es in „Ein Stück Monolog“. Jürgen Berger
„Ein Stück Monolog“ noch am 14., 21. und 29.11.
„Damals“ noch am 9., 12. Und 14.11. In diesem Monat inszeniert außerdem Peter Konwitschny „Tritte“ (17., 22., 26.11., 20.12.), im Januar kommt Michael Simon mit „Rockaby“ (19., 22., 24., 30.) und Werner Schroeter mit „Atem“ (31.1, 5., 7., 21.2.). Die weiteren Regisseure: Hans Hollmann, Werner Düggelin, Cesare Lievi, Barbara Bilabel, der Choreograph Youri Vamos, Frank Castorf, Jossi Wieler, Barbara Mundel, Christof Nel.
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