Vom richtigen Leben im falschen

■ Joshua Sobol, Dramatiker aus Tel Aviv, erarbeitet sein Stück „Ghetto“ am Bremer Theater / Premiere am Donnerstag

Er ist klein, drahtig, sachlich, konzentriert, kein Selbstdarsteller, keiner, der „Theater macht“. Joshua Sobol, ein Sabra, 1939 in Tel Aviv geboren, wo er wieder wohnt, war Journalist, Dozent, Dramatiker, künstlerischer Leiter des Stadttheaters in Haifa bis zum scandalon seines „Jerusalem-Syndrom“. Er kennt Europa gut. Vom Philosophiestudium an der Sorbonne kann er Französisch, ebenfalls „some German“, was seine Untertreibung für fließend ist. Mit dem Kollegen vom Weser-Kurier und mir spricht er englisch, darin gehe es genauer.

Auf die Frage, was es für ihn als Israeli bedeutet, links zu sein, antwortet er blitzschnell: „Den Frieden über alles stellen“; beim Versuch, zu sagen, was Sozialismus für ihn bedeutet, verhirnt und verheddert er sich, aber wenn er über Theater spricht, dann wird er lebhaft und ganz klar.

In Bremen probt er, Autor und Regisseur zugleich, drei Wochen für die Wiederaufnahme von Ghetto, bei dem er schon in Essen Regie geführt hatte. Ein Theaterstück, 1984 uraufgeführt, über das Theater im Ghetto von Wilna, das der Judenrat Jacob Gens 1941 in Übereinstimmung mit dem SS-Offizier Kittel gründet. Das Theater soll Leben retten, wenn auch nur die der Spieler, Zeit gewinnen, Kraft geben, vor dem Hintergrund der Abtransporte, die das Ghetto nicht verhindern kann.

Das Ghetto von Wilna war, vor 1941, eine Metropole jüdischer Kultur in Osteuropa. Unter der NS-Herrschaft nach 1941 drängte die Intensität des bedohten Lebens in die Musik, auch in das Theater, das der historische Anstoß zu Sobols Stück wurde. „Der Kampf, der dort geführt wurde, hat etwas zu tun mit der Glut dieses Ortes.“ Das Theater war „ein Dynamo, eine Kraftquelle, weiterzuleben. Vielleicht war es der wirkungsvollste Widerstand überhaupt.“

Sobol hat eine antibrecht'sche

hierhin bitte

den grauhaarigen

Mann

Joshua SobolFoto: Landsberg

Vorstellung von dem, was Theater soll. Was er suche, — hat er in einem früheren Interview gesagt — das sei das Gegenteil von konzeptioneller Kunst, die den Intellekt und manchmal auch die Phantasie anspreche. „Ich erwarte vom Theater, daß es mich packt, nicht nur im Kopf, nicht nur bei meinen Sinnen und Gefühlen, sondern total.“

Und zu Ghetto: „Ich möchte mit dem Publikum Erfahrungen teilen, die ich gemacht habe, als meine Schutzwälle brachen, als ich das erste Mal die Lieder hörte und die Menschen traf, die alles erlebt hatten, und ihre Geschichten hörte.“

Gehört hat er da, daß die Kreativität den Menschen in der Bedrohung half, ihrem Leben einen menschlichen Sinn zu geben. Sobol hat das mitgenommen in eine Zeit, in der das Theater „hilflos und elend“ ist und kaum mehr weiß, was es überhaupt soll. Sobol will die geläufige Perspektive auf die „Opfer“ umgekehren: Die Theaterspieler im Ghetto haben, so Sobol in Bremen, „a lesson to tell us“.

„Das ist kein Platz für Mitleid, sagt er. „es klingt komisch, aber mit Mitleid stellen wir sie nicht auf die gleiche Stufe wie uns selber.“ Das Ritual der Bewältigung bemitleidet die todgeweihten Opfer, verehrt den offenen Widerstand und verurteilt die Judenräte, die wie Jacob Gens mit dem Teufel paktieren, um Leben zu retten. Sobol hat von Überlebenden gehört, daß sie voller Schuldgefühle sind, weil sie überlebt haben, indem sie jemand anderen auslieferten.

Die Umkehr der Perspektive, das hat, in Israel wie in der BRD, bei Ghetto-Aufführungen schockiert und Protest ausgelöst. Auch bei unserem Gespräch verteidigt Sobol wieder seinen Jacob Gens. „Gens hat niemals kollaboriert.“ Und Manfred Stolpe, der im Prinzip genauso argumentiert? Gens flieht nicht, sagt Sobol, als er die Gelegenheit bekommt. „Er rechtfertigt sich selber nicht.“

Sobol mag nicht nur kein Konzept-Theater, er mag auch keine Konzept-Regie. In Bremen hat er versucht, nochmal zu öffnen, was in Essen schon fest war, hat die Schauspieler eingeladen, ihre Erfahrung hereinzutragen, hat die Rollen gemodelt nach der Ausstrahlung der neu hinzukommenden Spieler und den Rahmenerzähler verändert. Er soll nun die Ghetto-Geschichte mit dem Hier und Jetzt konfrontieren. Am Donnerstag kann man es im Bremer Theater sehen. Uta Stolle