Nachschlag

■ Das Tokyo International Music Ensemble im Sendesaal des SFB

Fast genau hundert Jahre ist es her, daß ein Deutscher das erste japanische Orchester gründete. 1868, nach dem Zusammenbruch des Tokugawa-Shogunats und der damit verbundenen Politik der Abschottung nach außen, hatte die Invasion der europäischen Musik begonnen. Gleichzeitig aber bewahrten die Japaner ihre eigene Musiktradition, nur lernten die fernöstlichen Hofmusiker nun eben zwei Instrumente: ein altklassisch japanisches und ein europäisches.

Im großen Sendesaal des SFB stellte sich im Rahmen des Japan Music Festivals am Sonntag abend das Tokyo International Music Ensemble unter der Leitung des Komponisten Toshi Ichiyanagi vor. Und bezeichnenderweise war dann im Programm neben Kompositionen des zwanzigsten Jahrhunderts eben auch ein klassisches „Gagaku“, eine japanische Hofmusik, angekündigt. Sie handelt von der Geschichte eines schönen Prinzen, der zu schön ist, um eine Schlacht zu gewinnen, und deshalb gezwungenermaßen Masken trägt. Drei Flöteninstrumente im hohen Register werden von drei Percussioninstrumenten begleitet; die tiefe Trommel schlägt in ewig anmutenden Abständen ein ostinates Fundament, worüber sich die Melodiestimmen in symmetrischen Phrasen hinschwingen. Eine Tänzerin gestaltet dazu mit seltsam rudimentär anmutenden Bewegungen die Geschichte.

Im zweiten Teil des Konzerts folgte „Ryoanji“ von John Cage, eine Komposition, die nicht nur vom traditionellen Steingarten des Ryoanji-Tempels inspiriert ist, sondern dessen Strukturen gleich auf direktem graphischen Wege in die Partitur übertragen wurden. Da wohl die meisten der Linien des Gartens schräg verlaufen, ergeben sich für die drei verwendeten Oboeninstrumente vorwiegend Glissandi-Klänge. Diese, ohnehin bereits luftig gesetzt, finden Begleitung von einem Percussionisten, der nichts als einen einzigen Schlag in unregelmäßigen Abständen monoton wiederholt, was den Charakter des Stückes, eher „umrahmte Stille“ denn Ansammlung von Tönen zu sein, noch unterstreicht.

Zwei zeitgenössische japanische Kompositionen vervollständigten das Programm. Das abschließende Stück des Ensembleleiters Ichiyanagi verwendet zwar genau wie das vorhergehende von Maki Ishii traditionelle japanische Klänge, kommt aber eher im postmodernen Gewand daher. Zwar zeigt sich hier einiges an klanglicher Phantasie, auch in der Übertragung europäischer Techniken auf japanische Instrumente, trotzdem wirkt das spothafte Aufeinanderfolgen traditioneller Flötenmelodien mit Passagen flatternd-gerissener Koto-Saiten bisweilen seltsam unmotiviert.

Ishii „Hiten-seido“ hingegen konzentrierte sich völlig auf den Einsatz von Blasinstrumenten – Bambusoboe (Hichiriki), Blasharmonika (Sho) und Bambusquerflöte (Ryuteki) – und untersuchte in bester Avantgarde-Manier ungewöhnlichste Zusammenklänge. Ein beeindruckendes und überzeugendes Stück. Marc Maier