„Europa steht zwischen Chaos und Frieden“

■ Giro Gligorov ist Präsident von Mazedonien/ Aus Ohrid Roland Hofwiler

taz: Der Krieg lauert vor der mazedonischen Haustür. Schwappt er von Bosnien auf Ihr Land über, einem Staat, der nicht einmal internationale Anerkennung gefunden hat?

Gligorov: Die Menschen wollen keinen Krieg. Nirgendwo in den Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien. Es sind die Politiker, die glauben, mit kriegerischen Mitteln könne man Konflikte austragen, könne man politische Ziele verwirklichen. Es sind die Politiker, die aus der kommunistischen Nomenklatura entstammen, die nun die größten Nationalisten geworden sind...

Auch Sie waren jahrzehntelang in Spitzenfunktionen der kommunistischen Macht.

Aber als Reformer. Schon Jahre vor dem Prager Frühling trat unsere Reformgruppe für eine grundlegende Erneuerung des Sozialismus ein, für eine kapitalistische Wirtschaftsform, für ein Mehrparteiensystem. Hätten wir, die Genossen in Prag und in anderen sozialistischen Ländern damals gesiegt, es gäbe heute nicht die Gefahr lokaler kriegerischer Auseinandersetzungen in Osteuropa.

Zur Gegenwart: Der serbische Tschetnikführer und Parlamentsabgeordnete Vojislav Šešelj erklärte letzte Woche, nur wenn man die Republik Mazedonien gerecht zwischen Serbien, Bulgarien, Griechenland und Albanien aufteile, dann sei das Pulverfaß Mazedonien beseitigt.

So jemanden nehme ich nicht ernst. Die mazedonischen Bürger wissen sich zu wehren, wir haben keine Angst vor diesen serbischen Tschetniks, die können uns nichts antun.

So sprach auch Ihr Amtskollege Alija Izetbegovic vor Monaten. Auch er setzte auf eine friedliche Lösung für Bosnien – und scheiterte damit.

Und sind Europa nicht die Augen wegen des Krieges in Bosnien- Herzegowina aufgegangen? Hat man nicht verstanden, woher die Aggression kommt, wie sie ideologisch gerechtfertigt wird? Europa muß dies endich verstehen lernen, sonst wird sich das Gift des Nationalismus wie ein Flächenbrand ausbreiten. Man muß die neue Situation in Osteuropa endlich begreifen und dann sofort handeln. Mazedonien hat auf der Londoner Konferenz alle Kriterien für eine Staatlichkeit erfüllt und dennoch keine Anerkennung erhalten. Nur weil ein Land der EG uns feindlich gesonnen ist.

Athen ist also eine größere Gefahr für Mazedonien als das Regime in Belgrad?

Für uns ist Griechenland kein leichter Nachbar. Es kann noch viel Zeit vergehen, bis das griechische und das mazedonische Volk sich näherkommen werden. Aber sie müssen sich näherkommen. Es gibt keinen anderen Weg. Auch in Bosnien darf Europa die Kriegsgewinne nicht honorieren, die sogenannten ethnischen Säuberungen als Tatsache hinnehmen.

Glauben Sie denn wirklich, Serben, Kroaten und Muslimanen können nach all dem, was geschah, erneut friedlich zusammenleben? Auf dem Schlachtfeld wurden neue Grenzen gezogen, Realitäten geschaffen...

Es gibt nur zwei Wege für uns Europäer: Frieden oder Chaos in ganz Europa. Macht Bosnien Schule, ein kriegerischer Flächenbrand wird nicht nur den Balkan, er wird den Kontinent erschüttern. Und deshalb muß der Frieden siegen.