Bits statt Busse und Bahnen?

Die digitale Telekommunikation soll das Auto retten und den Verkehr vermindern/ Elektronik- und Autoindustrie setzen auf Bits statt Beton  ■ Von Florian Marten

Ihr Auto hat bloß vier Räder, eine Blechhaut, einen Motor, ABS, Airbag, Autoradio, CD- Player und Wohnzimmereinrichtung? Das darf doch nicht wahr sein! Wir leben schließlich nicht mehr in der automobilen Steinzeit! „Intelligent“ muß und kann das Auto heute sein. Und das bedeutet: Bordcomputer, Satellitennavigation, digitalisiertes europäisches Straßennetz auf CD-Rom, Farb- Display und natürlich ein digitales Mobiltelefon im D-Netz.

AutofahrerInnen, so will es die Industrie, sollen in Zukunft ein ganz neues Fahrgefühl bekommen. Vor jeder Fahrt wird der Bordcomputer gefüttert, straßengenau, versteht sich. Von da an nimmt die fürsorgliche Elektronik alles in die Hand. An jeder Kreuzung weist das Display den Weg, zusätzlich gibt der Computer bei jedem Abbiegen Laut.

Damit nicht genug. Die Verkehrsleitrechner der Autobahnen und Ballungsräume, die man während der Fahrt kreuzt, wählen sich klammheimlich ins Autotelefon, ermitteln Fahrroute und Geschwindigkeit und rechnen anschließend die aktuelle Verkehrssituation hoch. Effekt der Verkehrsaushorchung: Ariam (Autofahrer-Rundfunk-Informationssystem aufgrund aktueller Meßwerte) meldet dem Autoradio mit Blinken, Piepsen, Displayanzeige und Ton aktuelle Verkehrshinweise, die sich ausschließlich auf die jeweilige Fahrtroute beziehen.

Wem das noch nicht reicht, der soll Zusatzinformationen per Telefon und Display aus dem Äther zapfen können, um zum Beispiel zu erfahren, welche Parkhäuser in der angepeilten Stadt belegt sind und wo sich durch vorherigen Nieselregen ein Schmierfilm auf der Straße gebildet hat.

All das sind beileibe keine Zukunftsvisionen mehr, sondern ist längst entwickelt, in Feldversuchen erprobt und steht kurz vor der flächendeckenden Einführung. Die Europäische Gemeinschaft und das Bundesforschungsministerium sind mit Milliardenbeträgen dabei. Die Subventionsprogramme tragen hehre Namen wie Eureka, Prometheus, Drive oder Polis, die Feldversuche heißen Storm (Stuttgart), Move (Hannover), Munich Comfort (München), Rhapit/Fruit (Frankfurt), Viktoria (Köln) und Liaison (Berlin), die Produkte hören auf Sokrates, Ariam und Ali-Scout.

Diese wohlklingenden Projekte und Produktsysteme machen vor allem erst einmal das Auto teurer – 5.000 bis 10.000 Mark pro Wagen sind fällig, bei späterer Massenproduktion 1.000 bis 2.000 DM. Doch nicht nur das: auch die Asphaltpiste haben Forscher und Industrie im Visier. „Intelligente Straße“ heißt das Zauberwort, das Elektronikindustrie und Telekom ein goldenes Zeitalter verspricht. Digitale Funksysteme in jeder Ampel und hochkomplexe Verkehrsrechner, die in Zukunft vom Glatteis über die Zugverspätung und die Parkhausbesetzung bis hin zur Stauprognose alles erfassen, verwalten, weitergeben – ein gigantischer Markt tut sich da auf. Allein 500 Millionen Mark läßt es sich die Bundesregierung jetzt kosten, 2.000 deutsche Autobahnkilometer mit Induktionsschleifen auszurüsten, um dem Stau EDV-mäßig ein bißchen näher zu sein.

Die schlichte Frage dabei lautet allerdings: Was bringt's – außer Forschungsgeldern und neuen Absatzmärkten für die Industrie? Ein hochkarätig besetzter Kongreß der Deutschen Verkehrswissenschaftlichen Gesellschaft (VDGB) versuchte darauf letzte Woche zumindest Teilantworten zu geben. Unter der Überschrift „Telekommunikation als Instrument zur optimalen Nutzung der Verkehrsinfrastruktur?!“ zerbrechen sich Wissenschaft, Industrie und Planer die Köpfe über die Verkehrszukunft nach dem Ende des Betonwahns. Denn, so der Konsens der Experten, der Ausbau der Infrastruktur ist, zumindest in den Ballungsräumen, schon längst an die Grenzen von Machbarkeit, Finanzierbarkeit und ökologischer Verträglichkeit gestoßen.

Telekom und Elektronikindustrie haben eine Antwort, die zumindest für ihre betrieblichen Interessen die richtige ist: mit Informationstechnologie, so das Versprechen, lasse sich physischer Verkehr einsparen (Videokonferenzen, Home-Banking, Tele-Heimarbeit, Tele-Shopping) oder vernünftiger organisieren (Stauwarnung). Nach den bisherigen Erfahrungen kommen da Zweifel auf, wie selbst Telekom-Vorständler Meißner einräumte: „Kommunikation ermöglicht die Individualisierung des Aufenthaltsortes. Das erzeugt Verkehr.“ Ohne Frage: Das Telefon hat die motorisierte Fortbewegung eher gefördert als gebremst.

Schon simple Parkleitsysteme, die nach Auskunft ihrer Erbauer und der Stadtverwaltungen den Parksuchverkehr einschränken sollen, indem sie sicher zu Parkhäusern mit leeren Parkplätzen führen, haben den Parksuchverkehr in den Innenstädten nicht gebremst. Manche Experten fürchten sogar das Gegenteil: Mit Parkleitsystemen gaukeln die Innenstädte eine Aufnahmebereitschaft für Autos vor, die schon längst nicht mehr besteht – von Verminderung des Verkehrs könne bei diesem System keine Rede sein, von Verflüssigung und gleichmäßigerer Auslastung des Straßennetzes auch nur dann, wenn sich die Verkehrsteilnehmer an die Logik der technischen Vorschläge halten.

Den Boom der Systeme bremsen solche Erkenntnisse bislang kaum. Das Dreigestirn von Telekom, Auto- und Elektronikindustrie, oft in strategischen Allianzen verflochten, boxt seine Konzepte mit Rückendeckung von EG und Bundesregierung nur allzu leicht gegen lokale Bedenken durch.

Münchens Oberbürgermeister Georg Kronawitter (Munich Comfort – BMW, MAN, Siemens) und Hannovers Oberstadtdirektor Jobst Fiedler (Move – VW, Siemens, Bosch) verteidigen ihre Zustimmung als notwendigen politischen Pragmatismus: man dürfe sich später nicht vorwerfen lassen, nicht auch diesen Weg zur Lösung der Verkehrsprobleme ausprobiert zu haben.